Der dreizehnte Apostel
Patsy, der TPL-Bibelstudentin; Religion als Krankheit wie bei der armen Mrs. Bullins … Hör zu, ich will mich nicht so verwirrt fühlen. Ein Gott, komplett mit Gebrauchsanweisung, wäre mir jetzt recht. Ich vermute, daß ich nicht mehr weiß, was ich glaube. Da hast Du es. Ich werde in die Damentoilette gehen und diesen Schwangerschaftstest machen, und wenn ich wirklich in der Patsche sitze, dann weiß ich, daß es meine eigene gottverdammte Schuld ist, und ich werde das, was kommt, auf mich nehmen. Aber bin ich in diesem Punkt verrückt? Ich glaube auch – verzeih mir die Arroganz –, daß ich auf dieser Welt für etwas anderes bestimmt war, als eine ledige Mutter zu sein. Ich weiß, ich weiß … Welcher guten Sache könnte ich mich weihen, die Dir wichtig wäre?
(Es gibt zahllose Dinge. Wir wünschten, religiöse Leute würden nicht so denken.)
Aber ich habe das Gefühl, daß ich auf der Schwelle zu etwas stehe, daß ich gerade erst anfange, mich selbst kennenzulernen und das, was ich in dieser Welt tun kann. Und das muss ich mir alles mit einem Kind versauen.
Vielleicht behalte ich es und stehe das durch, lasse mich von meiner Familie und meinen Freunden verstoßen, ziehe in irgendein dunk les Viertel von Chica go und teile mir mit einer anderen unverheirateten Mutter eine Wohnung und das Aufpassen aufs Baby, so daß ich weiter in meine Seminare gehen kann. Jesus, Heiliger Erlöser, was ich gerade gesagt habe, klingt wie die Hölle. Ich habe nicht das Gefühl, daß mir tatsächlich vergeben ist, nicht einmal nach diesem Gespräch.
(Warum vergibst du dir nicht zuerst selbst?)
Als zwei redselige weiße Frauen vom Land kamen, stand Lucy auf und überließ sich dem Gefühl der Leere. Langsam ging sie zur Intensivstation, ohne es eilig zu haben, in das Wartezimmer mit den unglücklichen, ängstlichen Verwandten zu kommen.
Niemand kann mir jetzt helfen, dachte sie ruhig. Schwester Miriam hat gesiegt!
(Nein, Mein Kind.)
Doch, wirklich, sie hat gesiegt. Sie sagte, Sünde führe in Ruin und Schande, und sie hatte recht. Ihre ganze Bitterkeit, der anklagende Blick und der erhobene Zeigefinger waren gerechtfertigt. Sie hat gespürt, daß ich eine Versagerin bin, und jetzt habe ich es bewiesen. Es war nicht einmal nötig, ein ganzes Leben in Sünde zu verbringen. Ein kleiner, mieser Ausrutscher in achtundzwanzig Jahren eines reinen Lebens, und wumm!
»Entschuldigen Sie«, sagte eine Krankenschwester neben ihr, als sie die Intensivstation betrat. »Sie gehören zu Dr. O’Hanrahan, nicht wahr?«
Lucy erstarrte. O bitte. Bitte, o Gott. Sie machte sich auf die schlimmste Nachricht gefasst .
»Ich habe nach Ihnen gesucht, Lucy – Sie sind doch Lucy, nicht wahr?«
Die Krankenschwester war eine kleine, muntere Frau, die am Krankenbett mühelos Enthusiasmus und Optimismus ausstrahlen konnte. »Mr. O’Hanrahan hat nach Ihnen gefragt.«
Lucys Gesicht hellte sich auf. »Liegt er nicht mehr im Delirium?«
»Anscheinend nicht. Das Fieber ist in der Nacht gesunken, und heute Morgen war er wach. Wir überziehen gerade das Bett neu und werden ihn wieder auf die Normalstation bringen. Lassen Sie uns noch, sagen wir, eine Viertelstunde Zeit, dann können Sie ihn besuchen, ja?« Ein nach Ammoniak riechender Gang führte zum Wartezimmer, in dem ein verzweifeltes Grüppchen versammelt war. Eine Familie hockte beieinander und wartete auf Neuigkeiten über Daddys Herzanfall. Eine ältere Frau, auf dem Wege, Witwe zu werden, las in ihrer Bibel und blickte auf den Fernseher, wenn jemand im »Glücksrad« einen Buchstaben erriet. Eine junge Frau, die ihren Ehering nervös hin und her drehte, eine Variante des Hände ringens, versuchte, sich auf eine Ausgabe von National Geographic zu konzentrieren. Lucy ließ sich in der Ecke auf das quietschende, unverschämt fröhlich zitronengelbe Vinylsofa sinken. »Entschuldigen Sie«, sagte eine ältere Dame und setzte sich neben Lucy.
»Ja, Ma’am?«
»Die Krankenschwester hat gesagt, daß Sie bei Patrick O’Hanrahan waren?« Die schlanke Frau war ordentlich und adrett in konservatives Marineblau gekleidet, ihr graues Haar war aus dem Gesicht frisiert. Lucy vermutete, daß die TPL-Leute sie geschickt hat-ten. Sie reichte Lucy die Bourbonflasche.
»Die Krankenschwester sagte mir, ich solle sie Ihnen geben. Patrick ist eine Plage, nicht wahr? Immer gewesen. Möchten Sie ein wenig Orangensaft?«
Die Frau holte zwei Styroporbecher und eine Saft tüte aus ihrer großen Tasche und goss
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