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Der dritte Berg

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.F. Dam
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Nachmittagsluft reckt. Müßig starre ich hinab auf den See. Spiegelglatt und dunkel liegt er in der spärlichen Sonne. Am besiedelten Nordufer des Sees, unweit einer Staumauer, die dort steil in den Wald abfallen muss, zieht sich der Ort Schluchsee hin, mit seinen Schwarzwaldhotels, Kurhäusern und den Krüppelwalmdächern. Dahinter ein paar Souvenirläden. Und weiter oben am Wiesenhang, keine hundert Meter von mir entfernt: die Maettgen’sche Villa.
    Nach meiner Ankunft habe ich in einem Hotel sogleich nach dem Haus von Professor Maettgen gefragt und Minuten später an Maettgens Tür geklingelt. Ohne Erfolg. Maettgen war nicht da oder versteckte sich hinter den Gardinen. Dann besorgte ich mir an einer Tankstelle eine gute Wanderkarte und fuhr ein paar Kilometer weg vom See, weiter hinauf in die Hügel, in ein lose daliegendes Dorf namens Fischbach. Ich bin jetzt im Landhotel Zum Goldenen Hirschen einquartiert; mein Wagen steht auf dem Parkplatz an der Straße.
    Maettgens Villa , sie wird hier tatsächlich so genannt, befindet sich nahe dem Ende einer kleinen, abgelegenen Sackgasse. Oberhalb gibt es nur noch ein einziges Haus, und dann der Wald. Hinter der Villa, an der mir zugewandten Seite, darbt ein alter, nur notdürftig gepflegter Garten vor sich hin, mit Hainbuchenhecken, einer großen Linde und langarmigen Eibenbüschen, zwischen denen verschmutzte Kieswege laufen. Eine Gruppe alter Schwarzföhren steht stramm als Abschluss zum Hang. An den Garten schließt sich eine braunrote Terrakotta-Terrasse, die von der Villa durch mehrere Türen mit braun gestrichenen Lamellenläden zugänglich ist. Sie sind allesamt geschlossen. Gestern noch war Maettgen da, und heute diese Leere.
    Den ganzen Tag fährt kein Wagen vor, niemand öffnet ein Fenster. Niemand geht zu der Mülltonne, die an einer Hecke hinter dem Haus steht. Und folgerichtig gehen, als es dunkel wird, auch keine Lichter an. Dafür aber wird es empfindlich kalt. Ich wette mit mir selbst, dass Horst Maettgen demnächst noch zurückkommt, halte den Einsatz aber niedrig. Und dazu hoffe ich, dass ich Maggies Hinweis auf Maettgen richtig deute. Maggies Sorge wegen Christians langer Abwesenheit hat mich überrascht.
    Ich nehme den bereits dunklen Waldpfad zum Goldenen Hirschen, esse im Restaurant des Landhotels und gehe rasch auf mein Zimmer. Dort fahre ich mein Notebook hoch, setze mich aufs Bett und sehe mich auf der Website dieses indischen Pharma-Unternehmens um, der Aroga Corporation . Die Aroga Corporation ist weltweit tätig und hat ihren Sitz in der westbengalischen Stadt Kalonagar. Eine Niederlassung in Mannheim gibt es, bei der es sich offenbar um die Europazentrale Arogas handelt. Angeberisch bezeichnet man sich als das bedeutendste pharmazeutische Unternehmen Asiens. Ich schaue nach. Diese Selbsteinschätzung Arogas scheinen eine Menge Wissenschaftler, Institute und Zeitungen zu teilen. Wieder zurück auf Arogas Website, suche ich nach Horst Maettgens Namen. Ausgenommen als Vortragender bei der letztjährigen Aroga-Konferenz in London taucht der Name Maettgen aber nicht auf. Von Hinweisen auf Christians Forschungsgebiete in der altindischen Medizin keine Spur.

    Am nächsten Morgen – ich bin mit etwas Proviant auf dem Weg zu meinem Beobachtungsposten – rufe ich Gabriela an. Ich bin Gabriela auf der Abschlussparty eines NGO -Kongresses in Hamburg über den Weg gelaufen, an dem ich für GeoWatch teilnahm. Seit meinem Studium bin ich Mitglied bei dieser Umweltorganisation. Man braucht bei GeoWatch gelegentlich Geophysiker, Meteorologen und Leute, die Erfahrung im alpinen Klettern haben. Die bloße Existenz einer solchen Rebellentruppe, die heute beinahe zum Mainstream gehört und inzwischen auch eine Menge selbstgefälliger Caffè-Latte-Leute und wahnsinniger Soziopathen anzieht, hatte mich in Bann geschlagen.
    In Hamburg entdeckten Gabriela und ich, dass wir beide in Wien leben und nichts von ewiger Liebe halten. Gabriela kommt aus Barcelona, sie hat eine archaisch-iberische Schönheit in den Zügen und das aufregendste Hinterteil dieser Weltgegend. Wie jeden Morgen ist sie auf dem Weg zum Sitz der UNO , wo sie arbeitet, und sie hat üble Laune. Man hat ihr ein paar Tage Arbeit im Archiv aufgebrummt. Ich erzähle ihr von Maggie; gegen meine Überzeugung nenne ich es einen wahrscheinlichen Selbstmord. Gabriela ist entsetzt. Und dann lüge ich Gabriela nicht an, sondern sage ihr, was ich gerade mache. »Du bist vollkommen von der Rolle, glaub mir«,

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