Der dritte Berg
historischen Südasienwissenschaften auf den Kopf zu stellen . Bei den zwei oder drei Cocktailpartys mitten am Tag wird Christian herumgereicht, als wäre er Walter Benjamin oder Max Müller höchstpersönlich. Die Frauen himmeln ihn an. Schade ist nur, dass keine von ihnen auch nur annähernd die Klasse von Anils Schwester erreicht.
Den späten Nachmittag und Abend verbringe ich einsam in meinem Hotelzimmer in Gablitz. Ich starre vor mich hin, dann lasse ich mir ein paar Sandwiches bringen. Wenn ich nicht an Maggie oder an New York denke, frage ich mich, was das mit Schmithausen alles zu bedeuten hat, und auch, ob Sophia mir etwas vorenhält. Erst gegen dreiundzwanzig Uhr fahre ich wieder in die Stadt hinein. Ich stelle meinen Wagen an einer abschüssigen Villenstraße ab. Obwohl es nicht regnet, mache ich mich mit tiefgezogenem Regenschirm an ein Haus in dieser am Ende doch zweitklassigen Hügelgegend heran. Eine Taschenlampe habe ich in meiner Jackentasche.
In der Nähe des Hauses schiele ich unter meinem nutzlosen Schirm hervor und luge in jedes Auto. Schließlich springe ich über einen niedrigen Holzzaun. Ich finde mich zwischen zwei Blaufichten wieder und schleiche in den Garten. Wie ein kleines Schneefeld liegt dort der abgedeckte Swimmingpool. Alles vollkommen leer und still. An der Rückseite des Hauses steige ich auf eine mit Kupferblech abgedeckte Fensterbrüstung und versuche, in die Metallfüße des oberen Terrassengeländers zu fassen. An einem Geländerfuß ziehe ich mich nach oben und beschmutze dabei die weißen Fensterfaschen. Ich klettere über das Geländer und von dort in das nächste Stockwerk, es ist das Dachgeschoss. An ihm gibt es einen winzigen Balkon aus Holz. Ich ziehe mich hoch, lande auf den Holzbohlen des Balkons, dann drücke ich an der Balkontür gegen den Türrahmen.
Ich weiß, dass diese Tür defekt ist. Ich weiß das, weil Christian sich nicht um solche Kleinigkeiten kümmert. Die Tür öffnet sich nicht. Erst beim vierten Versuch, als ich am oberen Rahmenschenkel, unten und beim Verschluss in der Mitte zugleich drücke, springt sie schließlich auf.
Ich nehme meine Taschenlampe zur Hand und schleiche zwei Geschosse hinunter in Christians Wohnraum; danach inspiziere ich Schlaf- und Gästezimmer. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich hier jemand aufhält. Schließlich begebe ich mich zu meinem Ziel.
Die Regale und Schränke in Christians Arbeitszimmer stehen voller Bücher, Ordnern mit Artikeln, Manuskripten, Unterlagen und Briefen. Ich nehme mir Zeit. Langsam lasse ich meinen Lichtkegel über Christians großen Schreibtisch aus Lärchenholz streichen. Da steht eine kleine Fotografie von Martha, eine, wie ich eigentlich dachte, eher flüchtige Episode Christians. Martha lacht ausgelassen, ihr Haar ist offen, und ich kann nicht umhin zu denken, Christian habe ihr Bild hier stehen, damit er einen Grund hat, Maggies Bilder nicht hier stehen zu haben.
»Du hast ein Sauglück«, sagt Christian bei einer solchen Cocktailparty zu mir. Im Arm hat er eine Dame in einem feuerroten Kostüm.
»So, und warum?«
»Sunita, sie steht auf dich.«
»Schönen Dank auch«, sage ich. »Sie ist verlobt. Eine Inderin! Verheiratet wär’ da fast noch besser.«
» So what? Martha Ticha, darf ich vorstellen«, sagt Christian und nickt seiner Begleiterin zu, »mein Freund Bernard Rai aus Wien. Wettermann, aber einer von der viel zu ernsten Sorte.«
Martha Ticha ist eine gutaussehende, energiegeladene, ursprünglich aus Prag stammende Frau, nur wenig jünger als Christian und bestimmt keine Schlafmütze im Bett.
»Und jetzt entschuldigt ihr beide mich für eine Minute«, sagt Christian, »Karen Priser! Sie ist tatsächlich hier. Brrrrr. Wird gar nicht lange dauern.«
»Wissen Sie, Bernard«, sagt eine lächelnde Martha Ticha, deren Lippen dunkelrot bemalt sind, »bei mir sind Sie goldrichtig. Sollten Sie jemals eine antike meteorologische Handschrift auf weiß der Himmel welchem Material haben, die etwas, na ja, verblichen ist, dann rufen Sie mich an. Die ganze Welt scheint neuerdings auf Palmblatt oder Birkenrinde zu schreiben …«
Ich lache auf. Antike meteorologische Handschrift ist ein makabrer Witz.
»Ich bin so etwas wie Chemikerin und Bibliothekswissenschaftlerin in einer Person – auf die Restaurierung alter Handschriften spezialisiert. Und ich mache mir«, das setzt sie eindringlich hinzu, »manchmal Sorgen um Ihren Freund.«
»Weshalb denn das, Martha?«
»Er arbeitet zu
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