Der dritte Berg
Ende steht in Schmithausens Nachricht aber ein Satz, der mich wirklich aufwühlt. Einem Lehrstuhlinhaber für Botanik jedenfalls scheint er mir wenig angemessen: Wir alle sitzen doch im selben Boot. Alle auf der Suche nach dem Quell des Lebens.
Das ist zu viel für mich. Ein gefährlicher Gedanke züngelt in mir, als ich die Tür zu meinem Appartement aufschließe. Ich gehe zur Minibar und angle mir einen Brandy. Ich hasse Brandy. So weit hat man mich gebracht. Es gibt Leute, die machen alles richtig, sind erfolgreiche Wissenschaftler, aber irgendwann, da biegen sie einfach falsch ab, und am Ende erzählen sie anderen etwas von einem Quell des Lebens.
Wie vereinbart, will ich Sophia gegen sieben Uhr zum Abendessen abholen. Ihr Zimmer liegt auf derselben Etage wie meines. Ich gehe den düsteren Hotelkorridor entlang. Der Korridor ist als scharfer Kontrast zu dem Überfluss von Licht überall dort draußen gedacht. Man glaubt, es sei Nacht und ein Stromausfall zwinge zur Notbeleuchtung. Ich bin auf dem Weg zum Fahrstuhl. Zehn, fünfzehn Meter vor mir schreitet eine Gestalt durch das Halbdunkel, die ich zunächst kaum wahrnehme. Dann ein kurzes Hüsteln, das mich aus meinen Gedanken reißt. Die Gestalt läuft zielstrebig den Korridor hinunter, offenbar hat sie es eilig. Ich folge ihr. Sie geht am Fahrstuhl vorbei, biegt nach rechts in den anschließenden Korridor und bleibt vor einer Zimmertür stehen. Ich luge um die Ecke; erst jetzt sehe ich, dass Schmithausen eine kleine Mappe mit Unterlagen bei sich trägt. Die Tür wird geöffnet, Schmithausen tritt aber nicht ein. Er spricht bloß in der Tür mit dem Bewohner dieses Zimmers. Auf Deutsch, und er gibt sich keine Mühe, die Lautstärke zu dämpfen. »Hier, meine Liebe«, sagt er, »wie versprochen. Ich habe heute Nacht noch eine Verabredung mit Maettgen. Was für eine Überraschung. Maettgen ist zum Abendessen eingeladen, bestimmt bei diesem Mukherjee, und da er ein furchtsamer Mensch ist und uns die Zeitverschiebung schlaflose Nächte bereitet, treffen wir uns um ein Uhr morgens. Halt mir die Daumen, Sophia.«
Die Tür wird geschlossen. Man ist im Leben niemals vor Überraschungen gefeit. Ich laufe rasch den Gang zurück bis zum Fahrstuhl; dort warte ich auf Schmithausen. Er geht nicht an mir vorbei, wie ich will er hinunterfahren. Ich habe ihm den Rücken zugedreht und schreibe eine Nachricht an Sophia, dass ich sie nicht abholen werde, sondern sie in wenigen Minuten im Restaurant erwarte. Der Fahrstuhl kommt und Schmithausen steigt ein. Ich bin ein geselliger Mensch; ich lasse ihn nicht allein fahren.
»Bernard!«, ruft Schmithausen, als ich den Fahrstuhl betrete. »Da ersparen wir uns doch tatsächlich eine so weitschweifige Kommunikationsweise.«
»Und jetzt sagen Sie mir bitte, Professor …«, sage ich.
»Xaver«, unterbricht mich Schmithausen. Sein Bart ist auf Fünftageniveau. Das Gesicht erscheint mir jetzt glatter, weniger faltig. Vielleicht der Feuchte der Luft hier zuzuschreiben. »Bitte nennen Sie mich Xaver, Bernard. Zu duzen brauchen Sie mich ja nicht.«
»Woher wissen Sie von meinem Aufenthalt hier?« Es ist raus und ich bin gespannt auf die Unwahrheit, die nun folgt.
»Sie haben doch Konrad Kanner kennengelernt«, sagt Schmithausen tatsächlich. »Er arbeitet im Wiener Innenministerium.«
Als ob das irgendetwas erklären würde. Als ob das meine Zweifel an Sophia vertreiben würde. Ich wäge meine Chance auf Wahrheit ab und beschließe zu schweigen. »Leisten Sie uns doch Gesellschaft«, sage ich stattdessen. »Eine Dame aus dem Südasieninstitut und ich essen in wenigen Minuten auf der Terrasse des hauseigenen Red-Fort-Restaurants. Ein Tisch ist bestellt.«
»Mit Vergnügen!«, ruft Schmithausen wieder. »Da erledigen wir ja alles in einem Aufwaschen.«
Er will natürlich nicht wissen, welche Dame aus dem Südasieninstitut mit uns essen wird.
Wie ein Vorhang fällt die indische Dämmerung auf uns herab, als ich mit Schmithausen die Terrasse des Restaurants betrete. Sie liegt unmittelbar über dem Meer. Wir steuern auf meinen Tisch zu und beschließen, da doch Gentlemen, an der Brüstung stehend auf die Dame aus dem Südasieninstitut zu warten. Der Ozean glimmt dunkelgrün unter uns.
»Jetzt sind Sie also nach Indien geflogen«, beginne ich das Gespräch, »weil Sie sich ohne Ihren Feind Maettgen so furchtbar leer fühlen.«
»Wieso Feind? Ich bin ein einfacher Teilnehmer des Kongresses.« Schmithausen blickt freundlich in meine
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