Der dritte Berg
Ablauf dieser endlos langen Zeit höre ich Christian nach dem Fahrer rufen. Christian steigt ein, der Rücksitz wird ein paar Zentimeter in den Kofferraum gedrückt. Sekunden später fahren wir ab. Ich spüre keine Geborgenheit, ich höre keine vertrauten Geräusche.
Die Straßen Kalonagars sind schlechter, als man ohne Kofferraumtest denken mag. Fünfzehn, zwanzig Minuten lang wird es immer schlimmer, bis wir schließlich halten. Beißender Brandgeruch zieht durch den offen stehenden Schlitz in meinen kleinen Käfig herein. Der Fahrer steigt aus, geht ein paar Schritte, kommt zurück, ein quietschendes Geräusch, dann fährt er weiter. Augenblicke später stehen wir schon wieder. Die Rückenlehne des Sitzes vor mir knarrt. Christian sagt ein paar Worte, die ich nicht verstehen kann; er steigt aus. Der Wagen hebt sich. Ich warte ein oder zwei Minuten, löse schließlich den Schnürsenkel, stecke ihn in meine Hose und krieche so langsam wie möglich aus dem Kofferraum. Für dieses Manöver brauche ich mehrere Minuten. Der Fahrer darf nicht spüren, dass sich etwas im Wagen bewegt. Es stellt sich aber heraus, dass meine Vorsicht unnötig ist. Der Wagen ist in einer dunklen Ecke eines Hinterhofes abgestellt. Der Fahrer ist verschwunden, genauso wie Christian. Die Luft ist unerträglich. Ich muss husten. Vereinzelt ein Martinshorn und Geräusche wie von großen Abbruchmaschinen oder Baggern. Das Wummern von Helikoptern. Über den Gebäuden, die an den Hinterhof grenzen, ist wild zuckender Feuerschein zu sehen. Die Feuer müssen ganz nahe sein. Ich frage mich, wie der Fahrer durch die Absperrungen gekommen ist, die man doch aufgestellt haben muss.
Links mache ich ein dreistöckiges, kubusförmiges Gebäude mit Flachdach aus. Nur im Obergeschoss ist in mehreren Fenstern schwaches Licht zu sehen. Bei einem von ihnen ist aber nicht klar zu erkennen, ob es sich nicht um einen Widerschein des Feuers handelt. Ich schließe den Kofferraumdeckel, bis er einrastet, und löse mich von der Mercedes-Limousine. Dann laufe ich zur Hinterseite des Gebäudes und schleiche entlang der Mauer bis dorthin, wo ich die Straße vermute. Ich gelange zu einem Schiebetor aus Aluminium, durch das wir zuvor gefahren sind. Auf der Suche nach einem offenen Fenster oder einer Tür gehe ich die Einfahrt wieder zurück in den Hinterhof. Weiter hinten bemerke ich jetzt einen großen Geländewagen, der dort abgestellt ist.
In der Dunkelheit falle ich beinahe über eine kleine Außentreppe, die zu einer Hintertür führt. Ich gehe die drei Stufen hinauf und finde die Tür offen. Jetzt begreife ich. Das Gebäude und seine Umgebung ähneln dem Forschungszentrum dieses Dasgupta. Auch der dunkle Geländewagen kann Dasguptas Nissan sein. Daher mein Entschluss, vorerst davon auszugehen, dass ich mich im Research Centre for Geography and Himalayan Studies befinde.
Als ich die Hintertür öffne, stehe ich in einem kleinen Gang. Außer meinem Atem ist kein Geräusch zu hören. Ich dringe ein paar Meter vor. Schwaches Licht fällt in ein Treppenhaus unmittelbar vor mir. Ich habe es mit zwei oder drei Männern zu tun. Ich muss mich vollkommen lautlos bewegen und ziehe daher meine Schuhe aus. Barfuß gehe ich auf dem glattgestrichenen Betonboden. Ich steige die Treppe hoch. Das Licht kommt aus dem obersten Geschoss. Dort angekommen, halte ich am oberen Treppenabsatz inne und lausche. Leise Stimmen. Sie kommen von links. Ich luge um die Mauerkante in diese Richtung. Die Stimmen sind nun klarer zu hören. Ein Fernsehapparat, oder ein Video auf einem Bildschirm. Die Laute kommen aus einem Raum, dessen Tür geschlossen ist. Ich schleiche daran vorbei. An der nächsten Biegung des Ganges jetzt volle Beleuchtung in einem Zimmer, dessen Tür halb offen steht. Ich stelle meine Schuhe an der Ecke ab und nähere mich dem Lichtspalt. Das Schild neben der Tür sagt: Dr. S.R. Dasgupta .
Ich schiebe meinen Kopf bis zum Halsansatz durch die Tür. Einen Augenblick lang die absurde Vorstellung, jemand schlüge diese mit voller Kraft zu und trenne mir den Kopf ab.
Ich blicke mich im Raum um, und ich erschrecke kaum. Ich bin vorbereitet. Christian steht an Dasguptas wuchtigem Schreibtisch. Unmittelbar vor Christian befinden sich zwei Computer-Bildschirme. Und die Wand neben dem Schreibtisch ist voller Karten und Skizzen. Zu dieser Wand begibt sich Christian jetzt; er sucht nach etwas, reißt mehrere Blätter herunter, danach betrachtet er eine große, verschiedentlich markierte
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