Der dritte Berg
überquert Christian die Straße. Wir folgen ihm bis zum palmenbestandenen Mittelstreifen. Am gegenüberliegenden Straßenrand wartet ein grotesk fetter, in einem braunen Seidenanzug steckender Bengale auf Christian. Er steht neben einem geparkten Geländewagen, dessen Fahrertür weit offen ist. Wir machen zwei, drei langsame Schritte zur Seite. Hinein in den abendlichen Schatten einer Palme.
»Wie kann man nur so dick sein«, sagt Sophia. »Grässlich.«
»Dasgupta. Der Geograf«, sage ich.
Christian redet eine ganze Weile auf den Fettwanst ein, der gestikuliert mit seinen kurzen, stumpenhaften Armen dazu. Dann tippt Christian ihm mit dem Finger an die fette Brust, steinhart, langsam, entschlossen, und dabei ruft er ein paar Worte.
Dasgupta verbeugt sich daraufhin, es ist ein kleines, unwillkürliches Zucken, und schiebt sich mit einem scheuen Lächeln in seinen Wagen. Dort wuchtet er sich zurecht, während ihm Christian durch das offen stehende Fenster noch ein paar nette Sätze mit auf den Weg gibt. Winkend fährt Dasgupta ab, und Christian rennt zu einer wartenden Mercedes-Limousine.
»Fahr allein ins Hotel zurück«, rufe ich Sophia zu, während ich bereits zu einem Taxistand laufe. »Bitte.«
Als Christians Limousine abfährt, steige ich gerade in ein Taxi und biete dem Fahrer einen großen Rupienschein an, damit er dem Mercedes hinterherfährt.
Nach ein oder zwei Kilometern Fahrt verschwindet Christians Wagen in der anbrechenden Finsternis, seine Rücklichter verwischen sich im Reklamelicht, in der Straßenbeleuchtung, in den roten Streifen und den weißen, blendenden Augen Kalonagars.
»Der iss futsch«, sagt der Fahrer. »Aber ich hab da eine Idee.«
»Was meinen Sie?«
»Sir, ich kenn diesen Mann. Iss vor ein paar Tagen von einem Kollegen gefahren worden. Hab ihn gesehen. Den vergisst man nich so schnell. Diese Nadelaugen, die schießen einem ins Heaz.«
»Was schlagen Sie vor?«
»Keine Bange. Bring Sie zu ’ner Adresse, zu der iss er letztes Mal gefahren um diese Zeit. Wissen Sie, Taxifahrer quatschen eine Menge.«
»Welche Adresse denn?«
»Eine Dame der Society. Kann man sagen. Mannomann, bestimmt aber keine gute Schwiegertochter.«
»Bringen Sie mich hin.« Vorsorglich wedle ich mit einem weiteren Rupienschein.
»Schon geschehn, Sir. Nur noch zwei Mal ums Eck.«
Vor der Adresse fährt der Taxilenker ganz langsam die Straße entlang.
»Da, sehn Sie?«
»Nein, wo?«
»Auf’m Parkplatz. Der Mercedes. So ’ne edle Kutsche gibts auch in Kalonagar nich an jeder Ecke.«
Tatsächlich steht da Christians Wagen. Der Fahrer öffnet soeben die Tür und Christian steigt aus dem Fond des Wagens. Ohne sich umzusehen geht er auf das Haus zu, vor dem der Parkplatz liegt. Ein etwa achtstöckiges Wohngebäude mit einer Menge Glas und einem ehrgeizigen Architekten, der darauf bestanden hat, jedes zweite Geschoss in Prismenform nach hinten springen zu lassen. Eine Luxusresidenz. Nachdem er sich durch die Sprechanlage angekündigt hat, verschwindet Christian in der Eingangstür. Dame der Society. Nobelnutte? Bekannte der Familie Mukherjee, an die Christian sich rangemacht hat? Was würde Martha Ticha dazu sagen und der übrige Verein? Aber Martha ist abgebrüht.
Ich lasse meinen Taxifahrer noch ein kleines Stück fahren und steige dann ebenfalls aus. Ich bitte den Fahrer, zehn Minuten zu warten. Sollte ich dann nicht zurück sein, könne er machen, was er wolle.
In den Schatten eines Neembaums am Straßenrand gelehnt beobachte ich das Haus und Christians Limousine. Christians Fahrer ist nicht wieder in den Mercedes gestiegen. Rauchend vertritt er sich auf dem mit Autos vollgestellten, dunklen Parkplatz die Beine. Der ersten folgt eine zweite Zigarette. Er geht auf einen kleinen, spärlich beleuchteten Park zu.
Langsam löse ich mich von meinem Baum und schleiche die Straße entlang. In der Nähe von Christians Limousine angekommen, beschleunige ich meine Bewegungen und ducke mich zwischen den parkenden Wagen hindurch, bis zum Kofferraum des Mercedes. Der Wagen ist nicht abgeschlossen. Der Fahrer steht rauchend am Parkeingang. Ich sehe nicht mehr von ihm als einen roten Punkt, eingerahmt von einem langen Schatten. Ich öffne den Kofferraum und klettere hinein. Dann ziehe ich den Kofferraumdeckel zu mir herab, schließe ihn aber nicht. Ich zupfe einen Schnürsenkel aus einem meiner Schuhe und binde damit den Kofferraumdeckel fest.
Sehr nüchtern betrachtet vergeht wohl eine halbe Stunde. Nach
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