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Der dritte Berg

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.F. Dam
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Karte. Auf ihr ist eine Gebirgskette zu sehen. In der Mitte ist ein Gebiet eiförmig markiert; die Markierung ist mit Anmerkungen und Zeichen versehen. Ich kann nicht erkennen, worum es sich handelt. Christian entfernt die Karte von der Wand und rollt sie zusammen. Dann entrollt er sie wieder und faltet sie vorsichtig. Schließlich steht er an den Bildschirmen, setzt sich aber nicht hin, bewegt konzentriert die Computermaus, drückt ein paar Tasten, markiert Texte oder Daten und führt mehrere Datenträger in den Computer unter dem Tisch ein. Mein Hals beginnt zu schmerzen. Ich lehne mich an den Türrahmen und wechsle meine Stellung. Christian spürt meine Gegenwart nicht. Am Ende wühlt er sich durch die Unterlagen, die auf dem Schreibtisch wild herumliegen. Dabei geht er noch rücksichtsloser vor als ich an seinem Schreibtisch in Mukherjees Haus. Er gibt sich keine Mühe zu verbergen, dass jemand in Dasguptas Büro war. Mehrere Blätter nimmt er an sich, steckt sie zusammen mit der Karte in eine mitgebrachte Ledertasche, auch den letzten Datenträger zieht er wieder aus dem Computerschlitz und richtet sich auf. Er streckt seinen langen Körper. Er scheint erschöpft von seiner Arbeit, sein Hemd ist am Rücken nassgeschwitzt, trotz der Klimaanlage im Haus, die jedoch auf niedrigem Niveau läuft. Weder den Fahrer noch diesen Dasgupta scheint er zu erwarten. Die beiden könnten sich in dem anderen Raum aufhalten. Jetzt wendet Christian sich halb um. Er mag meine Angespanntheit gespürt haben. Ich ziehe rasch meinen Kopf aus der Tür. Als ich kein Geräusch einer Bewegung höre, schiebe ich ihn wieder vorsichtig hinein.
    Christian, jetzt beinahe im Profil sichtbar, steht entspannt da. Er denkt nach. Am Ende zieht er ein Tuch aus seiner Tasche und wischt die Computermaus, den Computer unter dem Tisch und Teile der Tischoberfläche gewissenhaft sauber. Er will keine Fingerabdrücke hinterlassen. Eine kleine Tatsache, die gegen die Anwesenheit des Leiters der Forschungsstelle, Dasgupta, spricht. Oder jedenfalls gegen sein Einverständnis mit Christians Anwesenheit in seinem Arbeitszimmer. Dann fährt er den Computer herunter. Und jetzt will Christian gehen. Ich entferne mich von der Tür, lese im Laufschritt meine Schuhe auf und drücke mich unweit des Treppenhauses in eine dunkle Ecke. Christian kommt den Gang herunter, öffnet die Tür zu jenem anderen Raum mit dem mutmaßlichen Fernsehapparat, geht hinein und kommt ein paar Sekunden später wieder heraus. In wenigen Metern Entfernung schreitet er an mir vorüber. Dann läuft er ohne zu zögern die Treppe hinab und verlässt das Gebäude durch die Hintertür, die er absperrt.
    Ich gehe zurück zu Dasguptas Arbeitszimmer und sehe mich um. Ich finde nicht viel. Vermessungskarten, Isomerendiagramme, Höhenprofile, Vegetationskarten, Satellitenbilder. Vieles aus dem östlichen Himalaya, offenbar ein Forschungsschwerpunkt von S.R. Dasgupta. Manches befasst sich auch mit Gebieten etwas weiter im Süden, mit Meghalaya und Mizoram. Den Computer fahre ich nicht hoch. Ich habe keine Zeit und auch keine Hoffnung, ohne Passwort Zugriff auf seine Speicher zu erhalten. Christian muss das Passwort bekannt gewesen sein, oder Dasgupta war vorhin da. Sein Wagen steht doch unten. Und sonst ist da nichts, das mir in irgendeiner Weise in Verbindung mit Christians Projekt zu stehen scheint.
    Ich verlasse Dasguptas Arbeitszimmer wieder und begebe mich zum Treppenhaus. Auf dem Weg dorthin komme ich wieder an diesem anderen Zimmer mit den Stimmen vorbei. Aus ihm dringt nun indische Popmusik. Ich öffne die Tür so geräuschlos, wie ich kann. Niemand ist zu sehen. Ein Bollywoodfilm läuft auf einem kleinen Fernsehgerät, das auf einem Esstisch steht. Ich trete in den Raum. Es ist eine Küche mit Essecke und einem großen Fenster. Ein sonderbarer Geruch hängt in dem Raum. Er kommt nicht von den Bränden, deren Lichtschein immer näher rückt.
    In diesem Augenblick höre ich ein leises Wimmern. Ich wende mich um. Im Halbdunkel hinter der Tür liegt ein Wesen auf dem Boden, dessen Ränder nicht sogleich auszumachen sind. Arme und Beine stehen in kurzen Stümpfen ab, die in Wulsten enden. Der Kopf steckt hinter einem sich fast unmerklich hebenden und senkenden Berg. Aus einer Schusswunde an der rechten Brustseite quillt Blut.
    Es ist Dasgupta; er lebt, und wenn rasche Hilfe kommt, wird er an dieser Verletzung nicht zugrunde gehen. Er kann aber nicht sprechen. Noch weniger sich bewegen. Er sieht

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