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Der dritte Berg

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.F. Dam
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einem kleinen Pfad gelange ich wieder zurück zur Straße und bewege mich in Richtung des Instituts. Ich sehe nirgends einen Rettungswagen, bloß Polizei und mehrere Löschwagen der Feuerwehr. Hinter Dasguptas Forschungsinstitut kann ich jetzt schon die Flammen der großen Brände sehen. Ein Löschhubschrauber mit starken Scheinwerfern wirft eine Ladung Wasser ab und die Feuerwehr beginnt mit dem Vorhaben, die Häuserzeile, in der Dasguptas Gebäude steht, zu retten. Weiß überhaupt jemand, dass hier eine Gasexplosion stattgefunden hat und Dasguptas Leiche oben in seinem Forschungszentrum liegt? Ich wage es nicht, den Löschtrupp auf den Toten hinzuweisen, und laufe einfach davon. Weg vom Feuer, in Richtung Süden, Richtung Stadtzentrum. Schließlich gelange ich auf eine große Durchzugsstraße.
    Die Straße führt an diesem schäbigen Gebiet vorbei und bald kann man besser atmen. Immer wieder muss ich anhalten und husten. Ich begegne einem weiteren Löschwagenzug, vor dem ich mich hinter einer Mauer verberge. Der Helikopter ist im Dauereinsatz.
    Es gibt keine Brise mehr, die rauchgraue Atmosphäre Kalonagars verfault in sich selber und wartet, von Feuer oder Regen erlöst zu werden. Christian kommt zu mir. Sein Haus, die Sauna in seinem Keller, in der wir mit ein paar Freunden oft geschwitzt haben. Maggie und Christian und ich in San Felice del Benaco. Lambruscoflüsse. Calvinistensohn. Genius. Erlöser. Mörder von Kolossen.
    Ich entdecke, dass ich die ganze Zeit, ohne noch darum zu wissen, Dasguptas kleine Mappe in Händen gehalten habe.

    Ein heftiges Gewitter zerreißt in dieser Nacht die Atmosphäre über der Stadt. Es löscht ein paar der Brände. Doch werden Straßen zu Flüssen, Kanalschächte kochen, Fontänen schießen aus dem Asphalt.
    Ratten pfeifen vor dem Ertrinken, Gavials jagen.
    Das Fleisch auf meinen Knochen wird bald verrotten und stinken, meine Organe werden explodieren, und mein Geist wird fliegen lernen. Hinaus in das Nichts, vollkommen allein in der Ewigkeit, allein mit der Angst vor der absoluten Leere. Eine böse Gegenwart zischt durch mich; die Toten haben mich bald eingekreist.

    Sophia sitzt in meinem Zimmer, als ich gegen sechs Uhr morgens rußschwarz, durchnässt, ölig zurückkomme. Ich frage nicht, wie sie hineingekommen ist. Sie faltet die Hände vor ihrem aufgerissenen Mund, als sie mich sieht.

AM SPÄTEN VORMITTAG erwache ich zum ersten Mal. Sophia sitzt in einem Sessel am Fußende des Bettes und liest. Sie beschützt mich. Dann erwache ich mittags zum zweiten Mal. Ich erwache hinein in eine zähe Wolke, sie fühlt sich an wie Knetmasse, oder wie dicke Melasse – als wäre sie aus der Hölle hervorgetropft. Sophia sitzt immer noch da und schaut in ihr Notebook. Sie bemerkt nicht, dass ich sie ein paar Sekunden lang anstarre. Um drei Uhr erwache ich wieder. Die Leuchtziffern am Fernsehgerät zeigen mir die Zeit an. Sophia ist nicht da. Doch dann höre ich sie draußen im Salon mit gedämpfter Stimme telefonieren. Ich kann nicht sagen, mit wem sie spricht. Diesmal ist die Masse dünner, federleicht beinahe, wie eine Wolke aus Dampf oder wie aufgeschlagenes Eiklar. Die Wolke bedrückt mich. Ich schlafe wieder ein, und gegen fünf Uhr abends erwache ich zum letzten Mal. Sophia ist nicht mehr da.
    Ich krieche aus dem Bett und gehe hinaus in den Salon. Ich gehe wie in einen dicken Nebel hinein. Ich setze mich auf das Sofa. Dann mache ich mir mit drei Säckchen Kaffeepulver starken Kaffee. Auf dem Tisch liegt eine Plastiktüte. Mit Dasguptas kleiner Mappe darin. Während meiner nächtlichen Wanderungen habe ich sie in diese Tüte gesteckt.
    Ich öffne die Mappe und setze mich wieder hin. In der Mappe befindet sich ein Bericht. Er umfasst siebzehn oder achtzehn Seiten (sie sind nicht nummeriert). Das Papier ist vom Regen verbeult und ölig. Dasguptas wollte wohl, dass ich das lese. Und ich sollte ihm diesen letzten Wunsch erfüllen. Also lehne ich mich zurück.

    23.–29. April 1979; Sikkim, Nordregion
    Dr. S.R. Dasgupta

    Kurz nach Sonnenaufgang versammelt sich die kleine Expedition bei einem Pipalbaum unterhalb von Mangan. Es ist bestimmt der einzige Pipalbaum in der gesamten Gegend. Die Träger kommen aus der Nähe von Gangtok.
    Es wird geschimpft, gefeilscht um die Lasten und den Tageslohn. Wir brauchen zwei Stunden, bis alle zufrieden sind.
    Wir gehen oberhalb des Flusses, der Tista, auf einem Pfad, der sich hinauf- und hinunterwindet. Unter dem klaren Himmel stehen die Gipfel des

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