Der dritte Berg
kramt in ihrer Tasche und fördert einen kleinen Flakon zutage, dessen Inhalt sie auf sämtliche Oberflächen versprüht. Dann zündet sie zwei uralte Kerzenstümpfe an, die auf dem staubigen Fensterbrett stehen.
»Ich bin glücklich«, sagt sie, wie nebenher.
Lange stehen wir schweigend am halboffenen Fenster. Wir betrachten die schwarzen Gebirgsschatten und hören dem Fluss dort weit unten zu; ich umfasse Sophia von hinten und lege meine Hände auf ihre Bauchdecke. Einen Augenblick lang glaube ich, weit über allen diesen nächtlichen Bergen zu schweben.
Sophias Brustwarzen ziehen in dieser Nacht unpersönliche, winzige Schlingerkreise über mir. Ihre kleinen Brüste runden sich und nehmen Formen an, die den Brüsten von indischen Nymphen in den Nischen und an den Basreliefs der Tempel gleichen: mehr Gleichnisse als Brüste.
Das Frühstück besteht aus Obst, Fladenbrot, Butter und Curry. Es wird uns in einem nach ranzigem Fett stinkenden Raum mit Holzbänken und rohen Tischen gereicht. Ich kann kaum etwas zu mir nehmen. Bestimmt habe ich schon fünf oder sechs Pfund abgenommen. Dann verstauen wir unsere Taschen und springen in unseren Wagen. Ich sitze am Steuer. Wir fahren in Richtung Chumthang.
In der nächsten Stunde ist die Straße stets oberhalb des Betts der Tista in den Hang geschnitten und oft verbreitert worden. Zuweilen schlängelt sie sich in langgezogenen Serpentinen eine Bergflanke hinauf und dann gleich wieder hinunter. Die Bergstraßen Sikkims zählen zu den gefährlichsten der Welt, und ich hoffe, wir müssen nicht bis ganz in den Norden hinauf. Die Tista ist voll mit Geröll – weißgrauen Kalkfelsen und Gneisbrocken. Die bewaldeten Berghänge spreizen sich zu beiden Seiten des Flusses steil in die Höhe, faltenweise und eindrucksvoll nach hinten gestaffelt. Bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, fragen wir Hirten oder Bauern nach den Toyotas. Man hat sie gesehen. Am Morgen zuvor. Es kommen hier kaum Autos dieser Art durch. Nur Pick-ups, alte Lastwagen, hin und wieder ein Bus, und seit einiger Zeit die Lastwagen des Kraftwerkunternehmens für die Ausbaustufe bei Chumthang.
Da sind auch überall Spuren von großen Fahrzeugen, abgerissene Äste, weggebrochene Straßenteile, Reifenspuren im Bankett.
»Die Regionalregierung in Gangtok verscherbelt ihr Land mit Kind und Kegel an die Stromkonzerne«, ruft Sophia, die immer alles über Indien weiß. »Fast dreißig große Staudammprojekte sind hier geplant. Vier davon weiter oben im Naturreservat. Die stauen und untertunneln einen halben Himalayafluss!«
Die Ausbaustufen Nummer II und I , so Sophia, würden bald folgen und dann schon nahe an die Gletscher des Kanchanjanghā heranführen.
Nur noch wenige Kilometer mögen es bis nach Chumthang sein, als Sophia, die erst wenige Minuten zuvor das Steuer übernommen hat, plötzlich anhält. Soeben haben wir die Tista auf einer Brücke überquert. Unweit der Brücke schneidet ein Waldweg in die Hügelflanke hinein. Das ist ungewöhnlich.
»Sieh nur.« Sophia steigt aus dem Wagen. »Bremsspuren.«
Ich steige ebenfalls aus.
»Da unten«, sagt sie. Sie zeigt auf das Flussufer weiter hinten. »Dieselben Reifen.«
»Da könnten sie gehalten haben«, sage ich.
Schließlich gehen wir auf die Bresche im Berghang zu. Der Waldpfad steigt geringfügig an und endet nach nur etwa sechzig Metern. An seinem Ende finden sich einige Fichten und dichtes Gestrüpp. Fahrzeugspuren sind zu sehen, die man mit scheinbar zufällig herumliegendem Astwerk und Farnen abgedeckt hat. Und das Gestrüpp entpuppt sich als Behausung für zwei Toyotas.
»Wir haben euch! « , ruft Sophia. Kein Wort von Christian. Nur Jagdinstinkt.
Es ist eine in aller Eile errichtete Tarnkonstruktion aus einem Gerüst aus Ästen und Wänden aus Blätterwerk. Einige Büsche hat man behutsam zur Seite gebogen, um sie nicht zu verletzen. Damit noch grünes Blattwerk verbleibt, nachdem die übrigen Blätter der Konstruktion vertrocknet sind.
»Die planen, länger als ein oder zwei Tage wegzubleiben«, sage ich.
Wir finden den Eingang in den Verschlag und kriechen hinein. Aber die Toyotas sind natürlich abgesperrt.
»Weiter zu Fuß?«, fragt Sophia und verzieht ihr Gesicht.
Ich bin bereits wieder draußen und suche den Boden nach Spuren ab.
»Da müssen wir wohl mithalten«, sage ich.
Die zahlreichen Fußspuren nahe dem Versteck sowie an der Straße und ebenso die Spuren auf der anderen Seite der Brücke lassen nur eine Schlussfolgerung zu.
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