Der dritte Berg
Forschungsergebnisse.
Und ganz am Schluss des Artikels gibt es noch eine kurze handschriftliche Notiz:
Veröffentlichung des gekürzten Berichts im Bulletin of Asian Geography (University of Wisconsin), Januar 1981, sowie im Journal of the Geographical Society of India, Juli 1983. Keinerlei Reaktion. Man hat nicht begriffen. Und die verfluchte Db erlaubt mir nicht, auf einer weiteren Expedition unwiderlegbare Beweise zu sammeln.
Was ist Db? Diabetes? Es scheint jedenfalls, Dasgupta war an diesem sonderbaren Ort nur ein einziges Mal.
Eine Stunde später kommt Sophia zurück. Sie nimmt meine Hand und blickt mir in die Augen. Der Nebel in mir hat sich gelichtet.
Erst jetzt erzähle ich. Meine Zunge ist alt und spröde. Dann sehen wir uns im Netz um. In allen regionalen Zeitungen die Nachricht vom Tod Dasguptas. Man hat seine Leiche doch noch entdeckt. Dasgupta, so die Nachricht, habe vor seinem Tod einen Notruf absetzen können. Kein Wort von der Explosion oder von einer Schussverletzung.
»Christian«, sage ich.
»Ja«, sagt Sophia. »Ich verstehe.«
»Was ist mit Schmithausen?«, frage ich.
»Hat angerufen«, sagt Sophia. »Aus den Nachrichten weiß er von Dasgupta, hat aber sonst keine Ahnung. Ich vermute, er will versuchen Mukherjee zu treffen.«
Wir gehen hinunter auf die Promenade und essen in einem kleinen Restaurant. Nichts schmeckt mir. Sophia hält meine Hand. Ich erzähle ihr nun auch von Dasguptas Artikel.
»Irre«, ruft Sophia erregt. »Der Jackpot der Geografie! Verstehst du? Terra incognita! Und keiner hat’s kapiert. Ich will auf der Stelle tot umfallen, wenn es nicht genau der Ort ist, zu dem Christian will.«
Diese Nacht verbringen wir in Sophias Bett und beschließen, es soll sich nicht wiederholen. Wieder ein langer, dünner, knochiger Körper. Sophia erzählt, sie sei ein schönes, langbeiniges Mädchen gewesen, sogar eine Modelagentur habe sie einmal angesprochen. Nur die roten Haare und die Sommersprossen, damals … und ihr Interesse habe ohnehin viel mehr der Schule gegolten. Jetzt also friste sie ihr Leben in dieser »bekloppten Rumpelkammer von Südasieninstitut«.
IV
And at the foot of that mountain is a fair well …
Sir John Mandeville
DAS VIERTEL LIEGT FAST SO STILL da wie beim letzten Mal. Die Mauer ist nur geringfügig mehr nach außen geschwungen. Gedämpfte Rasenmähergeräusche lassen Leben vermuten. Irgendwo plätschert etwas. Es riecht nach Jasminblüten, bestimmt auch nach Mohn, und nach frisch gemähtem Gras.
Ich lehne an der Mauer, Sophia steht am Eingang zu Mukherjees Haus, und ich warte auf das Geräusch von Mukherjees Tor, das sich zur Seite schiebt. Doch das Geräusch kommt nicht. Dafür aber kommt eine fröhliche bildschöne Sophia; ihre Hüften sind in der letzten Nacht beweglicher geworden. Sie winkt.
Seit dem Erwachen an diesem Morgen habe ich bloß noch ein Gefühl: Wut. Und einen Gedanken: Christian. Diese beiden haben selbst Sophia aus meinem Bewusstsein gedrängt. Und ich habe einen kleinen Plan ausgeheckt.
»Mukherjee und Christian sind weg«, ruft Sophia schon von weitem. Als sie bei mir ankommt, legt sie mir die Hand auf die Schulter. »Gestern Mittag. Sagt der Hausdiener. Wegen dem Monsun zwei Wochen früher als geplant.«
Ich knirsche mit den Zähnen.
»Reiß dich zusammen. Wir müssen was TUN . Dafür brauchen wir einen klaren Kopf. Sie haben nicht Mukherjees Wagen genommen, dafür aber sind sie mit zwei nagelneuen schwarzen Toyotas abgedüst.«
» Geländewagen?«
»Mit Sonderausrüstung. Der Fahrer ist auch dabei, und der dicke, deutsche Professor .«
Erst jetzt denke ich wieder an die Karten und Daten in Dasguptas Büro, die Christian mit sich genommen hat. Er braucht sie für seine Reise, sie sind bestimmt genauer als alles, was er sonst kriegen kann.
»Also, wohin genau?«
»Hier ging’s nicht weiter«, sagt Sophia, »habe deshalb mit zweitausend Rupien rumgewedelt. Zwecklos. Der Hausdiener hat keinen Schimmer, der weiß nur, dass Mukherjee in den letzten Tagen öfter mit Gangtok telefoniert hat. Hauptstadt von Sikkim. Und dann hat dieser Diener selber den Auftrag bekommen, Bergausrüstung zu kaufen, nach ganz detaillierten Listen, für vier Personen. Am Ende hat er alles in die Toyotas verstauen lassen.«
»Die Frage ist«, sage ich, »warum mit dem Wagen auf der Staatsstraße in den Norden? Man kann doch nach Baghdogra fliegen, und von dort mit dem Helikopter weiter nach Gangtok.«
»Denk doch mal nach«, sagt Sophia.
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