Der dritte Berg
»Flugzeuge und Helikopter hinterlassen eine Menge Spuren.«
Wir laufen zu unserem weiter vorne wartenden Taxi und fahren in die Stadt. In der Garuda Travel Agency im Zentrum besorgen wir uns Permits für Sikkim. Ich muss meinen Namen und drei mittelgroße Rupienscheine geltend machen, damit wir sofort Permits für ganz Sikkim, also auch für die Nordregion, erhalten. Für den Fall, dass wir sie brauchen.
Wir lassen uns zum Hotel fahren, packen unsere Sachen und checken aus. Dann zum Flughafen, wo wir eine Cessna nach Baghdogra nehmen. Als wir in Baghdogra landen, ist es vier Uhr. Wir mieten uns einen Geländewagen und fahren sofort weiter nach Siliguri, wo wir erst gegen zweiundzwanzig Uhr ankommen. Christians Vorsprung ist gewiss auf weniger als einen Tag zusammengeschrumpft. In dieser Nacht bleiben wir bei unserem Entschluss. Wir sind ohnehin zu müde. Früh am Morgen wollen wir uns daranmachen, Sachen für die Berge zu besorgen.
Siliguri ist nicht wie Kalonagar. Es ist das wirkliche Indien. Siliguri tobt. Der Verkehr ist unübersichtlich und kennt nicht eine Regel, außer jener, ungeschriebenen, dass du teuflisch hupen musst, um zu überleben. Auf der Suche nach einem Trekker-Laden laufen wir vorüber an Shops für Ferngespräche, an schimmelnden Buchläden Gemüseläden Zeitungsständen Reisebüros Juwelieren Restaurants Straßenköchen Sarihöhlen. Beinahe fallen wir über einen Müllhaufen. Inder sind ja unzweifelhaft die reinlichsten Menschen der Welt, sie baden aber so oft und denken so viele Stunden täglich über die rituelle Reinheit ihres Lebens und ihres Mittagessens nach, dass sie keine Zeit mehr finden, auch noch hier draußen, da, wo Sophia und ich jetzt die dreckstarrende Straße entlanggehen, für Sauberkeit zu sorgen.
Endlich finden wir den Laden, nach dem wir schon mehrmals gefragt haben. Wir besorgen uns ein Gerät mit Höhenmesser, Temperaturanzeiger und Kompass. GPS -Geräte haben sie keine. Wir kaufen ein kleines Zelt, Rucksäcke, Regenjacken, Pullover, Hosen, Mützen, Decken, Konserven, haltbares Brot, Süßigkeiten, Medikamente und Schuhe. Selbst eine Basisausrüstung zum Klettern packe ich noch dazu. Am Ende leihen wir uns zu einem horrenden Preis ein altes Satellitentelefon. In Sikkim gibt es zwar seit kurzem ein Mobiltelefonnetz, doch ist das bestimmt sehr lückenhaft.
Ich laufe zurück zum Hotel, hole unseren Wagen und wir verstauen unsere Einkäufe. Dann nehmen wir noch ein Mittagessen zu uns.
Von Siliguri fahren wir direkt Richtung Sikkim, entlang der Tista, dem Fluss, der im Norden Sikkims, am Fuß des Kanchanjanghā, entspringt und bis weit hinab nach Bengalen fließt. Gewiss spürt Christian, dass wir ihm auf den Fersen sind. Er muss doch hören, wie die durch das verfrühte Kommen des Monsuns immer stärker werdenden Winde seinen Namen flüstern. Wie sie ihn zuweilen vom Meer ins Land hinein brüllen .
Auf dem National Highway Nummer 60 kurven wir um Ochsenkarren und verrostete Busse herum. Die Temperatur hier im Landesinnern raubt uns fast die Sinne. Das Gras ist grünbraun und fahl. Staubige Dörfer und immer wieder Teiche. Der Wind bläst aus einem Hochofen hervor. Wir haben die Autofenster geöffnet, da die Klimaanlage versagt. Sophia lässt die Hand aus dem Fenster hängen. Ich muss ihr sagen, dass ich ihre Sommersprossen hübsch finde. »Du bist makellos«, sage ich. Silberdattelpalmen recken in langen Reihen, dann in kleinen Gruppen und als einzelne Fanale ihre Wedel in den wolkenlosen Himmel, dessen Gnade nicht ausreicht, um indische Landstraßen eben und befahrbar zu machen.
Schmithausen ruft uns an diesem Tag mehrmals an. Er glaubt, wir seien zusammen im Hotel. Schmithausen sagt, er habe passable Hinweise darauf, dass Christian und seine Partner bald in die Berge aufbrechen werden – und erzählt uns alles, was wir schon wissen. Ich verspreche, mit ihm in Verbindung zu bleiben.
Während des Gesprächs mit Schmithausen manövriere ich durch eine Herde von braunohrigen Schafen und Ziegen, die sich über die ganze Straße ergießt. Der bärtige Hirte winkt uns seelenruhig zu. Die Straße ist am Rand von dornigem Gestrüpp begrenzt, von trockenen Neembäumen und vom verschlungenen Astwerk alter Akazien. In den unteren Ästen stehen kohlschwarze Ziegen, wie Statuen.
Bald ist die Landschaft hügelig; der Fluss wird immer steiniger und führt nur wenig Wasser. Bei Rangpo, an der Grenze zum Bundesstaat Sikkim, müssen wir unsere Permits vorweisen. Sophia übernimmt
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