Der dritte Kontinent (Artesian 3) (German Edition)
kehrten dem Himmel und dem freien Flug auf ewig den Rücken und gewannen dafür Zugang zur Magie. Wir wahren Drachen blieben zurück.“ Wigget flog von der Stuhllehne auf den Tisch. N’Gucha sah das nicht besonders gern, aber heute war ein besonderer Tag. Außerdem hatte er seine Zuhörer so alle im Blick. „Viel Zeit verging und wir vergaßen sie. Irgendwann und noch immer vor meiner Zeit tauchten sie wieder auf, beanspruchten einen Teil der alten Drachengebiete für sich mit demselben Geburtsrecht wie wir. Sie nannten sich selbst Nat Chatkas, was in der Drachensprache ‚Die Flügellosen’ heißt.
Wir schickten sie fort. Da sie nur wenige waren, zogen sie kampflos davon, ließen sich im Südosten Burnyks nieder und lebten viele Generationen dort in Frieden mit den Menschen und uns Drachen. Eines Tages brachen sie ohne Not in den Süden auf. Sie verließen ihre Häuser und ihre Heimat, bestiegen Schiffe jeder Art, setzten Segel und wurden nie wieder gesehen.
Wieder gingen Jahrtausende ins Land. Die Nat Chatkas gerieten in Vergessenheit. Dann verfluchte der junge Wikt alle Drachen und sie starben, einer nach dem anderen.“
Alep sah den Drachen prüfend an. Wigget war einst Wikt gewesen. Wieso erzählte er das alles? Jeder am Tisch wusste von seiner Vergangenheit.
„Zwei weitere Jahrtausende vergingen. Dann brach der Tag an, an dem Pretorius von der Spaltung der Drachen erfuhr. Er machte sich auf die Suche nach den Nat Chatkas und fand in ihnen die Verbündeten, die er für seine ambitionierten Pläne brauchte. Der Chetekkenkönig und der Meistermagier wurden sich schnell einig. Für die Unterstützung versprach Pretorius ihnen meine unsterbliche Seele, die untrennbar mit einem Ahornbaum verbunden war. Doch bevor sie den Ahorn Dahliger fällen konnten, habt Ihr, Tischler, aus einem Ast des Baums einen Drachen geschnitzt und ihm diese, meine Form gegeben.“
Kwin sah Wigget an und dann hellte sich sein Blick auf. „Das ist der Grund, weshalb es im Talikon keine Chetekkenbäume gibt. Sie sind Drachen, irgendwie.“
„Ja, das ist der Grund. Aber die Schuld, weshalb die Chetekken immer weniger wurden in den letzten zweitausend Jahren, trage ich allein.“ Wigget seufzte. „Wie ihr wisst, war ich einst der schwarze Wikt, mächtigster Drache und Enkel des Königs Nidar. Aber ich wurde von meiner Familie verraten, woraufhin ich alle übrigen Drachen verfluchte. Mein Fluch war kraftvoll. Die Drachen starben aus.“ Wigget sah in die Runde. Niemand schien ihn zu verstehen, alle warteten wie gebannt. „Alle Drachen“, sagte er noch einmal und fügte schließlich seufzend hinzu: „Auch die, die sich vor unendlichen Zeiten von den Drachen abgewandt und abgespalten hatten – die Nat Chatkas.“
„Bist du sicher?“, fragte Alep nachdenklich.
„Magier, bitte. Ich habe nicht nur zwei Rassen den Untergang gebracht, ich habe darüber hinaus jeden Krieg zu verantworten, den die Chetekken in den Norden getragen haben.“
Jetzt erst begriffen die Anwesenden, an welcher Schuld Wigget förmlich zu ersticken schien.
Der Drache aber fühlte eine kalte Hand nach seinem Herzen greifen, als er das vom Verständins angefachte Entsetzen in den Gesichtern seiner Freunde aufleuchten sah. Ihre Blicke wurden leer, versteinerten und dann spiegelten sie all den Schmerz und das Leid wieder, das ihnen die Chetekkenkriege gebracht hatte. Ledus hatte seinen Bruder verloren, Kwin seinen Vater, Alep seine Eltern und seinen Bruder und Lisett ihre Artistenfamilie.
Sie waren letzten Endes zwar siegreich geblieben, hatten die Chetekken immer wieder zurückgeschlagen, aber der Preis, den sie dafür zahlen mussten, war jedes Mal hoch gewesen.
So ist das eben, dachte Wigget voller Kummer, am Anfang sind die Dinge immer klein. Ein verlorener Zweikampf, ein Verrat, ein Fluch und irgendwann steht die ganze Welt Kopf. Die Stimmung am Tisch bekam eine neue Dimension. Unsicherheit und Distanz herrschten jetzt vor.
Wigget wusste, was er zu tun hatte. Er sprang vom Tisch auf die Lehne der Bank, von dort direkt aufs Fensterbrett und durch das offene Fenster hinaus. Er wartete darauf, dass Alep ihn zurückhalten würde, dass er ihm sagen würde, seine Verletzungen seien noch nicht ausgeheilt und es wäre noch viel zu früh fürs Fliegen, aber nichts dergleichen geschah. Kein freundliches Wort erreichte ihn.
Er spreizte die Flügel und flog nach Hause. Er würde die ganze Geschichte ein weiteres Mal erzählen müssen. Diesmal seiner Familie und er
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