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Der dritte Mond

Der dritte Mond

Titel: Der dritte Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hätte. Ganz sicher handelte er in bester Absicht, und von seinem Standpunkt aus hatte er wahrscheinlich sogar recht. Aber das hatte Seybald auch gehabt, und Seybald war jetzt tot, zusammen mit mehr als tausend anderen Männern und Frauen, die kein anderes Verbrechen begangen hatten, als im falschen Moment am falschen Ort zu sein. »Ich halte es für besser, wenn er und die anderen zuerst einmal nichts davon erfahren«, sagte Hartmann. »Es hat wohl keinen Zweck, die Pferde scheu zu machen, bevor wir überhaupt wissen, ob es funktioniert.« Skudders Grinsen wurde noch breiter, aber er war klug genug, sich jeden Kommentars zu enthalten. Charity war ein wenig erstaunt. Hartmann hatte sich bisher stets aus ihrem latent schwelenden Streit mit Drasko und den anderen Gouverneuren herausgehalten. Daß er jetzt – wenn auch nicht offen – ihre Partei ergriff, überraschte sie. Aber vielleicht sollte sie es auch nicht überbewerten. Es konnte ebensogut sein, daß Hartmann ihr nun ganz bewußt in einem Punkt entgegenkam, in dem er nichts zu verlieren hatte. Fast sofort tat Charity ihr eigener Gedanke leid; es gab auf der ganzen Welt vielleicht nicht mehr als ein Dutzend Menschen, denen sie vollkommen und vorbehaltlos vertraute, und einer davon war zweifelsohne Hartmann. Außerdem befand er sich in einer weitaus komplizierteren Lage als sie selbst. Sie konnte in ein paar Tagen, vielleicht auch später, wenn ihr dieser ganze Kram hier zu bunt wurde, aber auch in einer halben Stunde in ihr Schiff steigen und nach Hause fliegen. Hartmann hatte nicht diese Möglichkeit. Er mußte hier bleiben und mit diesen Leuten leben, mit denen sie sich eigentlich nur zum Zeitvertreib stritt. »Können wir jetzt wieder gehen?« fragte Melissa. Charity drehte sich zu dem Mädchen um und verspürte einen heftigen Anflug ihres schlechten Gewissens, als sie den Ausdruck auf Melissas Gesicht sah. Für ein Kind ihres Alters beherrschte sie sich erstaunlich, aber in ihren Augen war trotzdem ein angstvolles Flackern, und es war ihr nicht möglich, still zu stehen. Offenbar bereitete ihr diese Umgebung Furcht. Charity fragte sich warum, hütete sich aber, diese Frage laut auszusprechen. Wenn Melissa soweit war, über das, was sie und die anderen an Bord eines solchen Schiffes erlebt hatten, zu reden, würde sie es ganz von selbst tun. »Du hast recht«, sagte sie und wandte sich dann an Hartmann. »Ich kann mir auch einen gemütlicheren Ort vorstellen, an dem wir uns unterhalten können.« »Ganz wie du meinst.« Hartmann hob die Schultern und bedeutete Skudder mit der gleichen Bewegung, das Schiff zu verlassen. Der Gang war so schmal, daß sie nur in der Reihenfolge hinausgehen konnten, in der sie hereingekommen waren. Charity hatte das Gefühl, zum erstenmal seit langen Minuten wieder frei atmen zu können, als sie aus dem Stingray hinaus und wieder auf den Betonfußboden des Hangars trat. Irgend etwas knirschte unter ihren Schuhsohlen. Sie schaute nach unten und erblickte ein wenig grobkörnigen, roten Sand, der aus der offenen Luke gerieselt war. Rot. Der Himmel war rot gewesen. Sie bückte sich, hob ein paar Sandkörner auf und ließ sie nachdenklich durch die Finger rieseln. Irgend etwas daran kam ihr bekannt vor. Nein: hätte ihr bekannt vorkommen sollen.  Der Anblick erinnerte sie an irgend etwas. So bizarr der Gedanke klang: Er erinnerte sie an etwas, das sie niemals mit eigenen Augen gesehen hatte, aber trotzdem wiedererkennen müßte. Sie kam nicht darauf. Ihre Gedanken kreisten noch einen Moment, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen, und dann, plötzlich, konnte sie fast körperlich fühlen, wie in ihrem Gedächtnis etwas einrastete. Beinahe hastig beugte sie sich noch einmal vor, schob die Sandkörner mit der Hand zusammen und hob so viel davon auf, wie auf ihre Handfläche paßte, ehe sie sich mit einem Ruck erhob. »Was hast du?« fragte Hartmann. Charitys Reaktion war weder ihm noch Skudder entgangen. Charity blickte nach oben. Die stahlverstärkte Decke des Hangars, die sich mehr als dreißig Meter über ihren Köpfen befand, war in gleißendes Licht getaucht. Charity deutete auf einen Punkt schräg über sich, etwa eine Handbreit über der Stelle, an der der Horizont gewesen wäre, hätten sie freie Sicht auf den Himmel gehabt. »Richtet die Teleskope auf diese Stelle«, sagte sie. »Ich glaube, wir werden eine Überraschung erleben.« Hartmanns Gesicht sah aus wie ein fleischgewordenes Fragezeichen. »Würde

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