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Der dritte Mond

Der dritte Mond

Titel: Der dritte Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ganz kleines bißchen zornig. »Und wenn schon! Dann ist es eben zusammengebrochen. Sie haben uns angegriffen, und wir haben zurückgeschlagen, so einfach ist das.« »Ja«, murmelte Charity. »So einfach ist das. Ich frage mich nur, ob wir wirklich das Recht dazu hatten.« Skudder blinzelte. »Das Recht wozu?« »So viele Lebewesen zu töten«, antwortete Charity. Skudder schwieg eine ganze Weile. Irgend etwas in seinem Blick änderte sich. Die Sorge war noch immer darin, aber sie hatte jetzt eine andere Qualität angenommen. »Das meinst du ernst, nicht wahr?« fragte er. »Charity, es war nicht deine Schuld, und auch nicht meine, oder die Hartmanns, oder die irgendeines anderen Menschen auf dieser Welt! Sie oder wir, so einfach war das!« »Aber gibt uns das allein das Recht, so viele Leben auszulöschen?« Es war keine Frage von der Art, auf die man eine Antwort erwartete, und Charity bekam auch keine. Skudder schaute sie nur an – jetzt eindeutig bestürzt. Nach einigen Sekunden stand Charity auf und ging zum Fenster. Sie hatte erwartet, daß Skudder ihr folgen würde, aber er blieb, wo er war. Sie war enttäuscht. »Ich weiß, daß es verrückt klingt«, murmelte sie. »Aber ich… ich werde diesen Gedanken einfach nicht mehr los. Was ist, wenn sie wirklich alle tot sind, Skudder? Ich meine: alle.«  Sie drehte sich mit einem Ruck zu Skudder um. Er saß noch immer reglos auf der Bettkante und sah sie voller Trauer (oder Furcht?) an. »Wie kommst du darauf?« fragte er. »Sie sind alle gestorben, Skudder«, antwortete sie. »Alle, die hier waren. Wir haben niemals herausgefunden, warum. Was ist, wenn… wenn wir mehr unterbrochen haben als die Transmitterverbindung?« Charity – und nicht nur sie, sondern sie alle – hatten sich diese Frage unzählige Male gestellt, ohne eine Antwort darauf zu finden. Es war möglich. Nach dem Zusammenbruch des Transmitternetzes waren sämtliche Moroni-Geschöpfe auf der Erde gestorben. Niemand wußte, warum. »Wenn es so ist, dann ist es zu spät, sich Vorwürfe zu machen«, antwortete Skudder. »Und ich glaube es auch nicht.« »Weil du es nicht glauben willst«, vermutete Charity. In ihren Worten war nicht der leiseste Vorwurf zu hören. Es war eine Feststellung, mehr nicht, und Skudder faßte sie auch ganz genau so auf. Wie konnte er auch daran glauben? Wäre es so, dann wäre es der größte Massenmord in der Geschichte des Universums. Niemand hätte mit diesem Wissen weiterleben können. Auch Charity nicht. Sie versuchte den Gedanken zu verscheuchen. Natürlich ging es nicht. Skudder schaute auf die Uhr und zog eine Grimasse. »Fünf«, sagte er. »Es lohnt nicht mehr, noch mal ins Bett zu gehen. Eines muß ich dir lassen: Dein Timing ist noch immer perfekt.« Er stand auf, reckte sich ausgiebig und gähnte übertrieben. »Ich sehe überhaupt nicht ein, daß ich als einziger leiden soll. Erfüllst du ausnahmsweise deine Pflichten als Beinahe-Ehefrau und kochst mir einen Kaffee?« »Natürlich«, antwortete Charity. Ohne sich vom Fenster zu rühren, fügte sie mit leicht erhobener Stimme hinzu: »Computer: Kaffee für zwei.« Skudder hob die linke Augenbraue, enthielt sich aber jeden Kommentars. Charity benutzte den Computer so gut wie nie, sondern zog es vor, einfache Handgriffe im Haushalt auf die althergebrachte Art zu erledigen. Es gab keinen logischen Grund dafür, aber sie hätte es einfach pervers gefunden, sich von einem Computer Kaffee zubereiten zu lassen, während zehn Kilometer entfernt Menschen um ihr nacktes Leben kämpften. Daß sie es nun doch tat, sagte mehr über ihre psychische Verfassung aus, als ihr lieb war. Skudder wartete einige Sekunden lang vergeblich darauf, daß Charity das immer unbehaglichere Schweigen von sich aus brach, dann zuckte er mit den Schultern, drehte sich um und ging, vermutlich allerdings nur, um sich anzuziehen, denn er ließ die Tür zu seinem Apartment offen. Charity nutzte die Zeit, sich selbst ihre Uniform überzustreifen – das einzige Kleidungsstück, das sie seit Wochen trug. Als sie sich an den kleinen Eßtisch setzte, fiel ihr Blick auf den weißen Briefumschlag, der darauf lag. Hartmanns Adjutant hatte ihn noch gestern abend gebracht, und Charity hatte seinen Inhalt seither unzählige Male durchgeblättert. Trotzdem – und sei es nur, um sich abzulenken – nahm sie ihn auch jetzt wieder zur Hand und zog das Dutzend farbiger Hochglanzfotos heraus. Es waren Vergrößerungen des Objekts, das

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