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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Erdkunde ein Pflicht­fach an amerikanischen Schulen und Colleges. Dann kam der Irrtum auf, es handele sich um wenig mehr als das Auswendiglernen der Namen von Hauptstädten, und das Fach wurde aus vielen Lehrplänen gestrichen. Doch ein halbes Jahr Erdkunde in der siebten Klasse ist nicht genug, um unseren künftigen Politikern die wahre Bedeutung der Geographie nahezubringen. Auch Faxge­räte und globale Satellitenverbindungen können die geo­graphisch bedingten Unterschiede zwischen den Men­schen nicht auslöschen. Über lange Zeiträume gesehen, hat die Geographie in hohem Maße dazu beigetragen, uns zu dem zu machen, was wir sind.

Kapitel 15
Pferde und Hethiter
    »Yksi, kaksi, kolme, neljä, viisi.« – Ich sah dem klei­nen Mädchen zu, wie es behutsam seine fünf Murmeln zählte. Daran war nichts Ungewöhnliches, nur war es ein fremder Klang, der da in meine Ohren drang. Fast überall in Europa hätte ich Worte gehört wie »one, two, three« im Englischen, »eins, zwei, drei« im Deutschen, »uno, due, tre« im Italienischen oder »odin, dwa, tri« im Russischen. Doch ich verbrachte meinen Urlaub ja in Finnland, wo eine der wenigen nicht­indogermanischen Sprachen Europas gesprochen wird.
    Die meisten der heutigen europäischen und viele der in Vorderasien bis hin nach Indien gesprochenen Spra­chen weisen eine starke Ähnlichkeit auf ( siehe Voka­beltabelle auf der nächsten Seite). Auch wenn wir beim Pauken von Französischvokabeln in der Schule stöhn­ten, ähneln sich die »indogermanischen« Sprachen doch alle untereinander, während sie sich von den übrigen Sprachen der Welt in Wortschatz und Grammatik un­terscheiden. Nur 140 der 5000 Sprachen, die heute ge­sprochen werden, gehören zu dieser Sprachfamilie, doch ihre Bedeutung übertrifft das zahlenmäßige Gewicht bei weitem. Der weltweiten Ausbreitung der Europäer seit 1492 – vor allem der Engländer, Spanier, Portugiesen, Franzosen und Russen – ist es zu verdanken, daß fast die Hälfte der heutigen fünf Milliarden Menschen auf der Erde eine indogermanische Sprache als Mutterspra­che hat.
    INDOGERMANISCHE UND NICHT-INDOGERMANISCHE VOKABELN
    INDOGERMANISCHE SPRACHEN
Englisch
one
two
three
mother
brother
sister
Deutsch
eins
zwei
drei
Mutter
Bruder
Schwester
Französisch
un
deux
trois
mère
frère
sœur
Latein
unus
duo
très
mater
frater
soror
Russisch
odin
dwa
tri
mat’
brat
sestra
Irisch
oen
do
tri
mathir
brathir
siur
Tocharisch
sas
wu
trey
macer
procer
ser
Litauisch
vienas
du
trys
motina
brolis
seser
Sanskrit
eka
duva
trayas
matar
bhratar
svasar
UIG*
oynos
dwo
treyes
mater
bhrater
suesor
    NICHT-INDOGERMANISCHE SPRACHEN
Finnisch
yksi
kaksi
kolme
äiti
veli
sisar
Foré*
ka
tara
kakaga
nano
naganto
nanona
    * UIG steht für Urindogermanisch, die rekonstruierte Grund­sprache der ersten Indogermanen. Foré ist eine Sprache des Hochlands von Neuguinea. Beachten Sie die starke Ähnlichkeit der Wörter bei den indogermanischen Sprachen und die völlige Verschiedenheit bei den nicht­indogermanischen Sprachen.
    Uns mag die Ähnlichkeit zwischen den meisten eu­ropäischen Sprachen als ganz natürlich und keiner Er­klärung bedürftig erscheinen. Erst wenn wir in Gegen­den der Welt mit großer sprachlicher Vielfalt kommen, wird uns klar, wie erstaunlich Europas sprachliche Ho­mogenität ist und wie sie förmlich nach einer Erklärung schreit. Im Hochland von Neuguinea zum Beispiel, wo die ersten Außenweltkontakte erst im 20. Jahrhundert erfolgten, wechseln sich nach wenigen Kilometern Spra­chen ab, die sich nicht weniger unterscheiden als Chi­nesisch und Englisch. Einst muß in Eurasien ebenfalls eine große Vielfalt geherrscht haben, die nach und nach dahinschwand, bis schließlich die Sprecher der Grund­sprache der indogermanischen Sprachfamilie auf den Plan traten und, einer Dampfwalze gleich, fast alle übri­gen europäischen Sprachen vom Erdboden vertilgten.
    Von allen Vorgängen, die der modernen Welt ihre ein­stige sprachliche Vielfalt nahmen, war die indogermani­sche Expansion der bedeutendste. Auf seine erste Pha­se, in der sich indogermanische Sprachen über Euro­pa und einen großen Teil Asiens ausbreiteten, folgte ab 1492 eine zweite, in deren Verlauf sie zu allen anderen Kontinenten vordrangen. Wann und wo setzte sich die Dampfwalze in Bewegung, und woher nahm sie ihren Schwung ? Warum wurde Europa nicht etwa von Spre­chern einer dem Finnischen oder Assyrischen verwand­ten Sprache überrollt ?
    Zwar sind die

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