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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Gebieten ausbreiten und nur begrenzten Kontakt miteinander haben, führen Verän­derungen an Wörtern und Aussprache in jedem Gebiet unweigerlich zur Ausbildung von Dialekten, so gesche­hen in den verschiedenen Teilen der USA in den weni­gen Jahrhunderten, seit dort ab 1607 die ersten festen Siedlungen von Engländern errichtet wurden. Nach ein paar weiteren Jahrhunderten verselbständigen sich Dia­lekte so stark, daß eine gegenseitige Verständigung nicht mehr möglich ist und sie nun als eigene Sprachen gel­ten. Eines der am besten dokumentierten Beispiele für diesen Prozeß ist die Entstehung der romanischen Spra­chen aus dem Lateinischen ab etwa 500 n. Chr. Schriften aus der Zeit ab dem achten Jahrhundert bezeugen, wie sich die Sprachen Frankreichs, Italiens, Spaniens, Por­tugals und Rumäniens nach und nach vom Lateinischen entfernten – und voneinander.
    Die Entstehung der modernen romanischen Sprachen aus dem Lateinischen veranschaulicht, wie sich Grup­pen verwandter Sprachen aus einer gemeinsamen Ah­nensprache entwickeln. Selbst wenn der Nachwelt keine lateinischen Texte erhalten wären, könnten wir die latei­nische Grundsprache zum großen Teil durch Vergleiche zwischen ihren einzelnen Tochtersprachen rekonstruie­ren. Auf gleiche Weise läßt sich ein Stammbaum aller indogermanischen Sprachzweige rekonstruieren, teils anhand alter Schriften, teils durch Rückschlüsse. In der sprachlichen Evolution spielten also Abstammung und Abzweigung die Hauptrolle, ganz ähnlich, wie es uns Darwin für die biologische Evolution vorführte. In Spra­che und Skelettbau unterscheiden sich Engländer und Australier, deren eigenständige Entwicklung mit der Be­siedlung Australiens 1788 ihren Anfang nahm, sehr viel weniger voneinander als von den Chinesen, von denen sie sich zig tausend Jahre früher entfernten.
    Läßt man ihnen nur genug Zeit, entwickeln sich Spra­chen in jedem Teil der Welt immer weiter auseinander, nur gebremst durch Kontakte zwischen benachbarten Völkern. Wohin das führen kann, zeigt eindrucksvoll Neuguinea, das vor der Kolonisierung durch Europä-er nie politisch vereint war und wo sich auf einer Flä-che so groß wie Texas fast 1000 verschiedene Sprachen entwickelten – darunter Dutzende ohne nachgewiesene Verwandtschaft miteinander oder mit irgendeiner ande­ren Sprache der Welt. Wird in einem größeren Gebiet die gleiche oder werden dort verwandte Sprachen ge­sprochen, weiß man deshalb, daß die Uhr der sprachli­chen Evolution erst kürzlich neu in Gang gesetzt wurde. Das heißt, es muß sich eine bestimmte Sprache vor noch nicht langer Zeit ausgebreitet, andere Sprachen ausge­löscht und sodann begonnen haben, sich erneut zu diffe­renzieren. Dieser Vorgang erklärt die starken Ähnlich­keiten zwischen den Bantusprachen im südlichen Afri­ka sowie den austronesischen Sprachen Südostasiens und des Pazifiks.
    Wieder liefern die romanischen Sprachen das am gründlichsten dokumentierte Beispiel. Bis etwa 500 v. Chr. war Latein als eine von vielen in Italien gesproche­nen Sprachen auf ein kleines Gebiet um Rom be­schränkt. Die Expansion Lateinisch sprechender Römer tilgte all diese Sprachen von der italienischen Land­karte und löschte anschließend ganze Zweige der in­dogermanischen Sprachfamilie in anderen Teilen Eu­ropas aus, zum Beispiel die keltischen Festlandsspra­chen. Diese Schwesterzweige wurden vom Lateinischen so gründlich ersetzt, daß wir nur noch aufgrund ver­einzelter Wörter, Namen und Inschriften Kenntnis von ihnen haben. Mit dem Vordringen der Spanier und Por­tugiesen nach Übersee ab 1492 raubte die ursprünglich von nur ein paar Hunderttausend Römern gesproche­ne Sprache Hunderten anderer Sprachen ihren ange­stammten Platz, was dazu führte, daß heute eine hal­be Milliarde Menschen eine romanische Muttersprache haben.
    Wirkte die indogermanische Sprachfamilie insgesamt ebenso als Dampfwalze, könnte man erwarten, hier und da von ihr hinterlassene Trümmerstücke in Form älte­rer nicht­indogermanischer Sprachen vorzufinden. Das einzige heute noch lebendige Überbleibsel dieser Art in Westeuropa ist die Sprache der Basken, von der kei­ne Verwandtschaft mit irgendeiner anderen Sprache der Welt bekannt ist. (Die übrigen nicht­indogermani­schen Sprachen im heutigen Europa – Ungarisch, Fin­nisch, Estisch und möglicherweise auch das Lappische – gelangten erst in relativ junger Vergangenheit aus dem Osten nach Europa.) Es gab jedoch vor

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