Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Eine Familie würde mit der Ern­te weniger Wochen ein ganzes Jahr auskommen. Noch vor der Domestikation von Weizen und Gerste gab es in Palästina feste Dörfer, deren Bewohner bereits Sicheln, Mörser und Stößel sowie Lagergruben kannten und von wildwachsendem Getreide lebten.
    Die Domestikation von Weizen und Gerste war kein bewußter Akt. Sie geschah nicht etwa so, daß sich eines Tages ein paar Jäger und Sammler gemeinsam hinsetz­ten, das Aussterben des Großwilds bejammerten und über die besten Weizenpflanzen diskutierten, dann die Samen in die Erde pflanzten und so im Jahr darauf zu Bauern wurden. Der Prozeß, den wir als Domestikati­on bezeichnen (die Veränderungen an Wildpflanzen im Zuge ihrer Kultivierung), war vielmehr ein unbeabsich­tigtes Nebenprodukt der Bevorzugung bestimmter Ar­ten von Wildpflanzen durch Menschen, wodurch ganz nebenbei die Samen der bevorzugten Pflanzen verbrei­tet wurden. Bei wildem Getreide wurden naturgemäß großkörnige Arten mit festen Ähren bevorzugt, deren Körner sich leicht herauslösen ließen, aber nicht vorzei­tig herausfielen. Begünstigt durch diese unbewußte Se­lektion durch den Menschen, erforderte es nur wenige Mutationen bis zur Entstehung der großkörnigen, festen Getreidearten, die wir heute domestiziert nennen.
    Diese Veränderungen zeichnen sich seit etwa 8000 v. Chr. an Weizen- und Gerstenüberresten in antiken Dör­fern des Nahen Ostens ab, wie archäologische Funde er­gaben. Bald folgten Brotweizen und andere brauchbare Varietäten, und man begann mit der bewußten Aussaat. Aus den Zeiträumen danach tauchten an den Ausgra­bungsstätten immer weniger Überreste von Wildpflan­zen auf. Um 6000 v. Chr. hatte sich im Nahen Osten der Anbau von Kulturpflanzen mit der Viehzucht zu einem vollständigen System der Nahrungserzeugung vereint. Auf Gedeih und Verderb waren die Menschen nun nicht mehr Jäger und Sammler, sondern Bauern und Vieh­züchter auf dem Weg zur Zivilisation.
    Vergleichen Sie nun diese relativ geradlinige Ent­wicklung in der Alten Welt mit den Geschehnissen in der Neuen Welt. In den Gebieten Nord- und Südameri­kas, in denen mit der Landwirtschaft begonnen wurde, gab es keine starken jahreszeitlichen Klimaunterschiede wie im Nahen Osten, weshalb es an großkörnigen Grä-sern mangelte, die schon in der Natur ertragreich waren. Nordamerikanische und mexikanische Indianer began­nen zwar mit der Domestikation mehrerer kleinkörni­ger Wildgräser, darunter auch einer Gersten- und einer Hirseart, doch diese wurden von Mais und später von europäischen Getreidearten verdrängt. Der Vorfahr des Maises war vielmehr ein mexikanisches Wildgras, das den Vorteil der Großkörnigkeit besaß, jedoch in ande­rer Hinsicht nicht sehr vielversprechend war : einjähri­ge Teosinte.
    Teosintekolben unterscheiden sich im Aussehen so sehr von Maiskolben, daß bis vor kurzem über den ge­nauen Platz der Teosinte unter den Maisvorfahren ge­stritten wurde, und noch immer sind nicht alle Wissen­schaftler überzeugt. Bei keiner anderen Kulturpflanze ging die Domestikation mit so drastischen Veränderun­gen einher wie bei der Teosinte. An ihren Kolben sit­zen nur sechs bis zwölf Körner, und die sind wegen der steinharten Schalen nicht eßbar. Man kann die Hal­me wie Zuckerrohr kauen, wie es mexikanische Bauern auch jetzt noch tun. Doch niemand verwendet heute die Samenkörner, und nichts spricht dafür, daß es in prähi­storischen Zeiten anders war.
    Hugh Iltis gelang es, den wichtigsten Schritt auf dem Weg der Teosinte zur Nützlichkeit zu entdecken : eine permanente Geschlechtsumwandlung ! Die seitlichen Zweige der Teosinte enden mit dem männlichen Blü-tenstand, bei Mais dagegen mit dem weiblichen Kolben. Das mag nach einem drastischen Unterschied klingen, es handelt sich aber eigentlich um eine recht einfache, hormongesteuerte Veränderung, deren Auslöser ein Pilz, Virus oder Klimawandel gewesen sein könnte. Nachdem erst einige männliche Blüten begonnen hatten, ihr Ge­schlecht umzuwandeln, produzierten sie möglicherwei­se eßbare, freiliegende Körner, die hungrigen Jägern und Sammlern bald auffallen mußten. An frühen archäolo­gischen Fundstätten in Mexiko kamen Überreste win­ziger Kolben von kaum vier Zentimeter Länge zum Vor­schein, die der heutigen Maissorte »Tom Thumb« nicht unähnlich sind.
    Mit diesem abrupten Geschlechtswandel war Teosinte (alias Mais) nun endlich auf dem Weg zur Domestikati­on. Anders als

Weitere Kostenlose Bücher