Der dritte Schimpanse
Eine Familie würde mit der Ernte weniger Wochen ein ganzes Jahr auskommen. Noch vor der Domestikation von Weizen und Gerste gab es in Palästina feste Dörfer, deren Bewohner bereits Sicheln, Mörser und Stößel sowie Lagergruben kannten und von wildwachsendem Getreide lebten.
Die Domestikation von Weizen und Gerste war kein bewußter Akt. Sie geschah nicht etwa so, daß sich eines Tages ein paar Jäger und Sammler gemeinsam hinsetzten, das Aussterben des Großwilds bejammerten und über die besten Weizenpflanzen diskutierten, dann die Samen in die Erde pflanzten und so im Jahr darauf zu Bauern wurden. Der Prozeß, den wir als Domestikation bezeichnen (die Veränderungen an Wildpflanzen im Zuge ihrer Kultivierung), war vielmehr ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt der Bevorzugung bestimmter Arten von Wildpflanzen durch Menschen, wodurch ganz nebenbei die Samen der bevorzugten Pflanzen verbreitet wurden. Bei wildem Getreide wurden naturgemäß großkörnige Arten mit festen Ähren bevorzugt, deren Körner sich leicht herauslösen ließen, aber nicht vorzeitig herausfielen. Begünstigt durch diese unbewußte Selektion durch den Menschen, erforderte es nur wenige Mutationen bis zur Entstehung der großkörnigen, festen Getreidearten, die wir heute domestiziert nennen.
Diese Veränderungen zeichnen sich seit etwa 8000 v. Chr. an Weizen- und Gerstenüberresten in antiken Dörfern des Nahen Ostens ab, wie archäologische Funde ergaben. Bald folgten Brotweizen und andere brauchbare Varietäten, und man begann mit der bewußten Aussaat. Aus den Zeiträumen danach tauchten an den Ausgrabungsstätten immer weniger Überreste von Wildpflanzen auf. Um 6000 v. Chr. hatte sich im Nahen Osten der Anbau von Kulturpflanzen mit der Viehzucht zu einem vollständigen System der Nahrungserzeugung vereint. Auf Gedeih und Verderb waren die Menschen nun nicht mehr Jäger und Sammler, sondern Bauern und Viehzüchter auf dem Weg zur Zivilisation.
Vergleichen Sie nun diese relativ geradlinige Entwicklung in der Alten Welt mit den Geschehnissen in der Neuen Welt. In den Gebieten Nord- und Südamerikas, in denen mit der Landwirtschaft begonnen wurde, gab es keine starken jahreszeitlichen Klimaunterschiede wie im Nahen Osten, weshalb es an großkörnigen Grä-sern mangelte, die schon in der Natur ertragreich waren. Nordamerikanische und mexikanische Indianer begannen zwar mit der Domestikation mehrerer kleinkörniger Wildgräser, darunter auch einer Gersten- und einer Hirseart, doch diese wurden von Mais und später von europäischen Getreidearten verdrängt. Der Vorfahr des Maises war vielmehr ein mexikanisches Wildgras, das den Vorteil der Großkörnigkeit besaß, jedoch in anderer Hinsicht nicht sehr vielversprechend war : einjährige Teosinte.
Teosintekolben unterscheiden sich im Aussehen so sehr von Maiskolben, daß bis vor kurzem über den genauen Platz der Teosinte unter den Maisvorfahren gestritten wurde, und noch immer sind nicht alle Wissenschaftler überzeugt. Bei keiner anderen Kulturpflanze ging die Domestikation mit so drastischen Veränderungen einher wie bei der Teosinte. An ihren Kolben sitzen nur sechs bis zwölf Körner, und die sind wegen der steinharten Schalen nicht eßbar. Man kann die Halme wie Zuckerrohr kauen, wie es mexikanische Bauern auch jetzt noch tun. Doch niemand verwendet heute die Samenkörner, und nichts spricht dafür, daß es in prähistorischen Zeiten anders war.
Hugh Iltis gelang es, den wichtigsten Schritt auf dem Weg der Teosinte zur Nützlichkeit zu entdecken : eine permanente Geschlechtsumwandlung ! Die seitlichen Zweige der Teosinte enden mit dem männlichen Blü-tenstand, bei Mais dagegen mit dem weiblichen Kolben. Das mag nach einem drastischen Unterschied klingen, es handelt sich aber eigentlich um eine recht einfache, hormongesteuerte Veränderung, deren Auslöser ein Pilz, Virus oder Klimawandel gewesen sein könnte. Nachdem erst einige männliche Blüten begonnen hatten, ihr Geschlecht umzuwandeln, produzierten sie möglicherweise eßbare, freiliegende Körner, die hungrigen Jägern und Sammlern bald auffallen mußten. An frühen archäologischen Fundstätten in Mexiko kamen Überreste winziger Kolben von kaum vier Zentimeter Länge zum Vorschein, die der heutigen Maissorte »Tom Thumb« nicht unähnlich sind.
Mit diesem abrupten Geschlechtswandel war Teosinte (alias Mais) nun endlich auf dem Weg zur Domestikation. Anders als
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