Der dritte Schimpanse
höchstens zehn Millionen Sprechern sind Griechisch, Albanisch, Armenisch, Baltisch (bestehend aus Litauisch und Lettisch) und Keltisch (Walisisch, Gälisch usw.). Mindestens zwei weitere Zweige der indogermanischen Sprachfamilie, Anatolisch und Tocharisch, gingen schon vor langer Zeit unter, sind aber durch hinterlassene Schriften bekannt, während andere ziemlich spurlos verschwanden.
Und was beweist nun, daß all diese Sprachen untereinander verwandt und von anderen Sprachgruppen verschieden sind? Ein naheliegender Anhaltspunkt ist der gemeinsame Wortschatz, veranschaulicht durch die Tabelle auf S. 442 und Tausende weiterer Beispiele. Einen zweiten Hinweis liefern ähnliche Wortendungen (Flexionsendungen), die zur Verbkonjugation und Substantivdeklination dienen. Diese Ähnlichkeit wird unten anhand der Konjugation von »sein« in der ersten und dritten Person Singular gezeigt. Man erkennt solche Übereinstimmungen leichter, wenn man bedenkt, daß sich die gemeinsamen Wortstämme und -endungen verwandter Sprachen fast nie völlig gleichen. Vielmehr wird ein bestimmter Laut der einen Sprache oft durch einen anderen Laut ersetzt. Bekannte Beispie- le sind die häufige Äquivalenz des englischen »th« und des deutschen »d« (engl, »thing« = dt. »Ding«, »thanks« = »danke«) oder des englischen »s« und des spanischen »es« (engl, »school« = span, »escuela«, »stupid« = »estupido«).
INDOGERMANISCHE UND NICHT-INDOGERMANISCHE
VERBINDUNGEN: SEIN ODER NICHT SEIN
INDOGERMANISCHE SPRACHEN
Deutsch
(ich) bin
(er) ist
Englisch
am
is
Gotisch
im
ist
Lateinisch
sum
est
Griechisch
eimi
esti
Sanskrit
asmi
asti
Altkirchenslawisch
jesmi
jesti
NICHT-INDOGERMANISCHE SPRACHEN
Finnisch
olen
on
Foré
miyuwe
miye
Anm.: Nicht nur der Wortschatz, sondern auch die Verb- und Substantivendungen sind den indogermanischen Sprachen gemeinsam und unterscheiden sie von anderen.
Verglichen mit diesen feinen Unterschieden zwischen den einzelnen indogermanischen Sprachen, sind die Unterschiede in Laut- und Wortbildung zu nichtindogermanischen Sprachfamilien kraß. So ist mein grauenhafter amerikanischer Akzent, der mir jedesmal peinlich ist, wenn ich in Paris nur den Mund öffne und »Où est le métro?« sage, nichts gegen mein völliges Unvermö-gen, die Schnalzlaute mancher südafrikanischer Sprachen oder die acht Tonhöhen der Sprachen des neuguineischen Seentieflands herauszubringen. Natürlich brachten mir meine neuguineischen Freunde mit Vorliebe solche Vogelnamen bei, die sich nur in der Tonhöhe von einem Wort für Kot unterschieden, um dann ihren Spaß zu haben, wenn ich das nächste Mal einen Dorfbewohner um Informationen über jenen »Vogel« bat.
Ebenso charakteristisch wie die Laute ist die Wortbildung der indogermanischen Sprachen. Substantive und Verben haben bestimmte Endungen, die es beim Erlernen einer neuen Sprache zu büffeln gilt. (Wie viele ehemalige Lateinschüler unter Ihnen können wohl noch »amo, amas, amat, amamus, amatis, amant« aufsagen ?) Jede Endung enthält mehrere Arten von Information. So gibt das »o« in »amo« Auskunft darüber, daß es sich um die erste Person Singular Präsens Aktiv handelt : Der Liebende bin ich, nicht mein Rivale ; ich bin eine Person, nicht zwei ; ich bin der Liebe Gebende, nicht der Liebe Empfangende ; und ich gebe sie jetzt, nicht gestern. Gott stehe dem Liebenden bei, der bei all dem auch nur einen Fehler macht ! Andere Sprachen, wie Türkisch, verwenden dagegen eine Extrasilbe oder ein Phonem für jede dieser Informationen, während wieder andere, zum Beispiel Vietnamesisch, praktisch ganz auf solche Variationen verzichten.
Bei all diesen Ähnlichkeiten zwischen den indogermanischen Sprachen stellt sich die Frage, wie sich überhaupt Unterschiede zwischen ihnen entwickelten. Einen Anhaltspunkt gibt die Tatsache, daß sich jede Sprache, über die für etliche Jahrhunderte schriftliche Aufzeichnungen vorliegen, mit der Zeit sichtlich ändert. So erscheint zeitgenössischen Englischsprechern das Englisch des 18. Jahrhunderts zwar als seltsam, aber absolut verständlich. Wir können Shakespeare (1564–1616) lesen, wenngleich uns Anmerkungen die Bedeutung vieler von ihm gebrauchter Wörter erläutern müssen. Doch altenglische Texte wie das Gedicht Beowulf (ca. 700–750 n. Chr.) wirken wie in einer Fremdsprache verfaßt.
Wenn sich Sprecher einer ursprünglich gemeinsamen Sprache in verschiedenen
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