Der dritte Schimpanse
vorkommen, sie sind aber auch im Hethitischen, Irischen und Sanskrit zahlreich. Das läßt darauf schließen, daß jene Gebiete einst von Nicht-Indogermanen besiedelt waren und später von einer indogermanischen Invasion heimgesucht wurden. Trifft dies zu, so war die Heimat des Urindogermanischen weder Irland noch Indien (wovon heute ohnehin kaum noch jemand spricht), aber auch nicht Griechenland oder die Türkei (was noch gelegentlich behauptet wird).
Umgekehrt weist von allen modernen indogermanischen Sprachen das Litauische heute die größte Ähnlichkeit mit dem Urindogermanischen auf. Die frühesten überlieferten litauischen Schriften aus der Zeit um 1500 n. Chr. enthalten einen ebenso hohen Anteil von UIG-Wortstämmen wie fast 3000 Jahre ältere Sanskrit schriften. Der Konservatismus des Litauischen läßt vermuten, daß diese Sprache weniger störenden Einflüssen nichtindogermanischer Sprachen unterlag und ihr Verbreitungsgebiet möglicherweise in der Nachbarschaft der Heimat des Urindogermanischen blieb. Litauisch und andere baltische Sprachen waren früher weiter in Ruß-land verbreitet, bis Goten und Slawen die Balten in ihre heutige geschrumpfte Domäne zurückdrängten. Auch dieser Gedankengang führt also zu der Annahme, daß die Heimat des Urindogermanischen in Rußland lag.
Ein dritter Hinweis ergibt sich aus dem rekonstruierten UIG-Wortschatz. Wir hatten ja bereits gesehen, daß es bei der Datierung des Urindogermanischen hilfreich ist zu untersuchen, welche Wörter für bereits um 4000 v. Chr. vertraute Dinge Eingang in die Sprache fanden, nicht aber für Dinge, die bis 2000 v. Chr. unbekannt waren. Ob sich nun aus dem Wortschatz auch ableiten läßt, wo UIG gesprochen wurde ? UIG enthält zum Beispiel ein Wort für Schnee (snoighwos) ,was auf eine Lage in den gemäßigten Breiten und nicht in den Tropen hinweist. Von den zahlreichen Wildtieren und -pflanzen mit UIG-Bezeichnungen (wie mus für Maus) sind die meisten in der gemäßigten Zone Eurasiens heimisch, was uns hilft , die geographische Breite, nicht jedoch Länge der Heimat des Urindogermanischen zu bestimmen.
Den wichtigsten Hinweis liefert der urindogermanische Wortschatz meiner Ansicht nach jedoch nicht mit dem, was er enthält, sondern mit dem, was ihm fehlt, nämlich Bezeichnungen für zahlreiche Kulturpflanzen. Wir können davon ausgehen, daß UIG-Sprecher in bestimmtem Maße auch Ackerbau trieben, da sie Wörter für Pflug und Sichel hatten. Doch nur ein einziges Wort für ein nicht näher bekanntes Getreide hat überlebt. Demgegenüber gibt es in der rekonstruierten Urbantusprache Afrikas und in der uraustronesischen Sprache Südostasiens zahlreiche Bezeichnungen für Kulturpflanzen, und das, obwohl Uraustronesisch vor noch längerer Zeit gesprochen wurde als UIG, so daß die modernen austronesischen Sprachen mehr Zeit zum Verlieren dieser alten Wörter hatten als die modernen indogermanischen Sprachen. Dennoch enthalten die heutigen austronesischen Sprachen eine viel größere Zahl alter Namen für Kulturpflanzen. UIG-Sprecher kannten somit wahrscheinlich weniger Anbaupflanzen, so daß ihre Nachfahren erst Bezeichnungen entlehnen oder erfinden mußten, als sie in Gegenden vordrangen, in denen die Landwirtschaft eine größere Rolle spielte.
Dieser Schluß stellt uns vor ein doppeltes Rätsel. Erstens hatte sich der Ackerbau um 3500 v. Chr. in fast ganz Europa und im größten Teil Asiens durchgesetzt. Das schränkt die möglichen Heimatgebiete des Urindogermanischen stark ein ; es muß sich um ein seltsames Gebiet gehandelt haben, in dem die Landwirtschaft offenbar nicht so wichtig war. Zweitens stellt sich die Frage, was UIG-Sprecher zu ihrer Expansion befähigt haben sollte. Ein Hauptgrund für die Ausbreitung der Bantu- und Austronesischsprecher lag darin, daß die ersten Sprecher dieser Sprachfamilien Bauern waren, die in Gebiete vordrangen, die noch von Jägern und Sammlern besiedelt wurden, die sie in der Folge zahlenmäßig überflügelten oder gewaltsam unterwarfen. Daß UIG-Sprecher im Frühstadium der Landwirtschaft in ein bäuerliches Europa eingefallen sein sollen, widerspricht jeder geschichtlichen Erfahrung. Deshalb können wir die Frage nach dem »Wo« des indogermanischen Ursprungs nicht beantworten, bevor wir nicht die schwierigste aller Fragen geklärt haben : warum ?
In Europa spielten sich kurz vor Anbruch des Schrift -zeitalters nicht nur
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