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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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in Nordeuropa nur in geringer Zahl und lediglich in den Steppen Rußlands und weiter östlich in großen Herden. Die ersten Indizi­en für die Domestikation des Pferdes stammen aus der Sredny-Stog-Kultur um 4000 v. Chr., in der Steppe nörd­lich des Schwarzen Meeres angesiedelt, wo der Archäo­loge David Anthony an Pferdezähnen Spuren entdeckte, die auf Zaumzeug zum Reiten schließen lassen.
    Überall auf der Welt, wo das Hauspferd eingeführt wurde, brachte es dem Menschen enorme Vorteile. Zum erstenmal in der Evolution unserer Spezies konnten Menschen schneller über Land reisen, als ihre eigenen Beine sie zu tragen vermochten. Der Tempogewinn er­leichterte es Jägern, ihre Beute zur Strecke zu bringen, und Hirten, ihre Schaf- und Rinderherden in größeren Gebieten zusammenzuhalten. Und was vielleicht das Wichtigste war : Krieger konnten nun Überraschungs­angriffe gegen weit entfernt lebende Feinde vortragen und sich wieder zurückziehen, ohne daß den Angegrif­fenen Zeit zur Gegenwehr blieb. Überall auf der Welt lö-ste das Pferd eine Revolution in der Kriegführung aus und versetzte Pferdebesitzer in die Lage, ihren Nachbar­völkern Angst und Schrecken einzujagen. Das stereoty­pe Bild von den Prärieindianern als furchterregenden berittenen Kriegern entstand in Wirklichkeit erst zwi­schen 1660 und 1770. Da Pferde aus Europa den ameri­kanischen Westen früher erreichten als andere europä-ische Güter und die Europäer selbst, können wir sicher sein, daß es das Pferd allein war, das die Gesellschaften der Prärieindianer transformierte.

    Abb. 10 : Die Heimat der urindogermanischen Grundsprache
(UIG) lag wahrscheinlich in der russischen Steppe nördlich des
Schwarzen Meeres und östlich des Dnjepr.
    Aus archäologischen Funden geht hervor, daß das Hauspferd in ähnlicher Weise schon viel früher, näm­lich um 4000 v. Chr., die Kulturen der russischen Steppe transformiert hatte. Die Nutzung des offenen Graslan­des gestaltete sich schwierig, bis Pferde da waren, um das Problem der Überwindung größerer Entfernungen zu lösen. Die Inbesitznahme dieser Landschaft durch den Menschen vollzog sich seit der Domestikation des Pfer­des rascher und beschleunigte sich nach der Erfindung des Ochsenfuhrwerks um 3300 v. Chr. geradezu explo­sionsartig. Die Wirtschaftsweise, die sich in der Steppe herausbildete, beruhte auf einer Kombination von Scha­fen und Rindern als Lieferanten von Fleisch, Milch und Wolle sowie Pferden und Fuhrwerken für den Transport, ergänzt durch etwas Ackerbau.
    Es gibt keine Hinweise auf intensiv betriebene Land­wirtschaft und die Anlage von Lebensmittelvorräten in jenen frühen Steppensiedlungen, ganz im Gegensatz zu anderen europäischen und mittelöstlichen Fundstätten aus der gleichen Epoche. Die Steppenbewohner kann­ten keine größeren Dauersiedlungen und waren offenbar hochmobil – wiederum im Gegensatz zu den Dörfern mit Reihen aus Hunderten zweistöckiger Häuser, wie sie in Südosteuropa zur gleichen Zeit anzutreffen waren. Den Mangel an Architektur machten die Reiter in mili­tärischer Hinsicht mehr als wett, wie ihre mit Unmen­gen von Dolchen und anderen Waffen, manchmal sogar mit Wagen und Pferdeskeletten gefüllten, Männern vor­behaltenen Gräber beweisen.
    Rußlands Dnjepr (siehe Abb. 10) bildete deshalb eine jähe kulturelle Grenze zwischen wohlbewaffneten Rei­tervölkern im Osten und wohlhabenden bäuerlichen Siedlungen mit prall gefüllten Getreidespeichern im Westen. Diese geographische Nachbarschaft von Wölfen und Schafen mußte Unheil heraufbeschwören. Nach Er­findung des Rades breiteten sich die Reitervölker inner­halb relativ kurzer Zeit Tausende von Kilometern ost­wärts in die Steppen Mittelasiens aus, wie Funde belegen (siehe Landkarte). Die Vorfahren der Tocharer könnten ein Produkt dieser Expansion gewesen sein. Das Vor­rücken der Steppenvölker in westlicher Richtung war begleitet von dem Zusammenschluß der im Grenzbe­reich gelegenen europäischen Bauerndörfer zu riesigen Wehrsiedlungen, dem nachfolgenden Zerfall dieser Ge­sellschaften und dem Auftauchen der charakteristischen Steppengräber bis hin nach Ungarn.
    Von den Neuerungen, die hinter dem gewaltigen Auf­bruch in der Steppe standen, geht einzig die Domesti­kation des Pferdes nachweislich auf das Konto der Step­penvölker. Mag sein, daß sie auch Fuhrwerke, Milch­wirtschaft und Wolleverarbeitung unabhängig von den Kulturen des Mittleren Ostens erfanden, doch

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