Der dritte Schimpanse
v.Chr. verfaßt, aber erst später niedergeschrieben worden waren. Texte aus einem mesopotamischen Königreich namens Mitanni, die in einer nichtindogermanischen Sprache verfaßt wurden, jedoch einige offenbar aus einer mit dem Sanskrit verwandten Sprache entlehnte Wörter enthielten, beweisen, daß es schon mindestens um 1500 v. Chr. sanskritähnliche Sprachen gab.
Der nächste Durchbruch erfolgte Ende des 19. Jahrhunderts, als eine umfangreiche Sammlung ägyptischer Diplomatenbriefe aus der Antike entdeckt wurde. Die meisten waren in einer semitischen Sprache verfaßt, doch zwei in einer unbekannten Sprache blieben ein Rätsel, bis bei Ausgrabungen in der Türkei Tausende von Schreibtafeln mit der gleichen Sprache zum Vorschein kamen. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei diesem Fund um das Archiv eines Königreichs, das zwischen 1650 und 1200 v. Chr. in Blüte stand und heute mit seinem biblischen Namen als Hethiterreich bezeichnet wird.
Im Jahre 1917 wurde die Fachwelt von der Entdeckung überrascht, daß die hethitische Sprache nach ihrer Entschlüsselung einem vorher unbekannten, sehr eigenständigen und archaischen, inzwischen untergegangenen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie zugeordet werden mußte, dem Anatolischen. Eine Reihe offensichtlich dem Hethitischen ähnlicher Namen, die in Briefen assyrischer Händler in einer Handelsniederlassung nahe der späteren hethitischen Hauptstadt auftauchten, führen uns bei unserer Suche fast zurück bis ins Jahr 1900 v. Chr. Hierbei handelt es sich um das älteste direkte Indiz für die Existenz einer indogermanischen Sprache.
Man wußte also 1917, daß es um 1900 bzw. 1500 v. Chr. bereits zwei indogermanische Zweige – Anatolisch und Indoiranisch – gegeben hatte. Auf einen dritten frühen Zweig stieß man 1952, als dem jungen britischen Experten für Kryptographie Michael Ventris der Nachweis gelang, daß es sich bei den sogenannten Linear-B-Schriften aus Griechenland und Kreta, die sich einer Entschlüsselung seit ihrer Entdeckung um 1900 stets verweigert hatten, um eine Frühform des Griechischen handelte. Die Linear-B-Schreibtafeln stammen aus der Zeit um 1300 v. Chr. Doch die Sprache der Hethiter, das Sanskrit und das frühe Griechisch unterscheiden sich sehr stark voneinander, auf jeden Fall stärker als das heutige Franzö-sisch und Spanisch, wobei der Beginn der Auseinanderentwicklung der letztgenannten Sprachen über tausend Jahre zurückliegt. Das läßt vermuten, daß sich die drei Sprachzweige Hethitisch, Sanskrit und Griechisch bereits 2500 v. Chr. oder noch früher vom Urindogermanischen getrennt hatten.
Welcher Zeitraum läßt sich aber an den Unterschieden zwischen diesen Zweigen ablesen ? Wie erhalten wir einen Eichfaktor, der die »prozentuale Differenz zwischen Sprachen« in »verstrichene Zeit seit Beginn der getrennten Entwicklung« konvertiert ? Manche Linguisten greifen dazu auf das Tempo der Wortveränderung in historisch dokumentierten Schriftsprachen zurück, zum Beispiel auf die Veränderungen vom Angelsächsischen über das Mittelenglische bis zum modernen Englisch. Diese Berechnungen, die zu den Methoden einer Glottochronologie (oder Sprachchronologie) genannten Wissenschaft zählen, ergeben als Daumenregel, daß Sprachen in tausend Jahren zirka 20 Prozent ihres Grundwortschatzes erneuern.
Die meisten Wissenschaftler lehnen glottochronologische Berechnungen mit der Begründung ab, das Tempo der Wortveränderungen hänge zwangsläufig von sozialen Gegebenheiten und den Wörtern selbst ab. Die gleichen Wissenschaftler sind allerdings in der Regel bereit, grobe Schätzungen vorzunehmen. In beiden Fällen kommt gewöhnlich als Ergebnis heraus, daß sich die urindogermanische Sprache um 3000 v. Chr. aufzuteilen begann – mit Sicherheit jedenfalls nicht später als um 2500 v. Chr. und nicht früher als um 5000 v. Chr.
Es gibt noch eine weitere, völlig andere Herangehensweise an das Problem der Datierung – die Wissenschaft der linguistischen Paläontologie. So wie sich Paläontologen um Aufschluß über die Vergangenheit bemühen, indem sie nach im Boden vergrabenen Relikten suchen, versuchen es linguistische Paläontologen mit der Suche nach Relikten, die in Sprachen vergraben sind.
Damit Sie verstehen, wie das funktioniert, erinnere ich daran, daß fast 2000 Wörter des urindogermanischen Wortschatzes rekonstruiert worden sind. Es
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