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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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geschah.
    Gleich, welches ihre Sprache war, blieben die Siege der Steppenvölker angesichts des technologischen Fort­schritts in Westeuropa nach und nach aus. Das Ende kam dann relativ schnell. Im Jahre 1241 hatten die Mongolen das größte Steppenimperium errichtet, das die Welt je gesehen hatte und das von Ungarn bis nach China reich­te. Doch ab etwa 1500 n. Chr. begannen die indogerma­nischsprachigen Russen, von Westen in die Steppen vor­zurücken. Der zaristische Imperialismus brauchte nur wenige Jahrhunderte, um die Steppenreiter, die Europa und China über 5000 Jahre lang in Angst und Schrecken versetzt hatten, zu unterwerfen. Heute teilen sich Ruß-land und China die Steppenregionen, und nur die Mon­golei erinnert noch an die einstige Unabhängigkeit der Steppenvölker.
    Viel rassistischer Humbug ist über die vermeintliche Überlegenheit der indogermanischen Völker geschrie­ben worden. In der Nazi-Propaganda war von einer rei­nen Arierrasse die Rede. In Wirklichkeit waren die In­dogermanen seit der Expansion des Urindogermani­schen vor 5000 Jahren niemals vereint, und sogar die UIG-Sprecher selbst gehörten vielleicht mehreren ver­wandten Kulturen an. Einige der erbittertsten Kämpfe der letzten Jahrtausende wurden zwischen indogerma­nischen Gruppen geführt und einige der schlimmsten Greuel von ihnen untereinander verübt. Die Sprachen, in denen sich Juden, Zigeuner und Slawen verständig­ten, waren genauso indogermanisch wie die ihrer Nazi-Peiniger, die sie vernichten wollten. Es war purer Zu­fall, daß sich die Sprecher des Urindogermanischen zur rechten Zeit am rechten Ort befanden, um ein Bündel nützlicher Technologien zu schnüren. Dadurch kam es dazu, daß heute die halbe Weltbevölkerung Ableger ih­rer Sprache spricht.
Eine urindogermanische Fabel
    Owis Ekwoosque
    Gwrreei owis, quesyo wlhnaa ne eest, ekwoons espeket, oinom ghe gwrrum woghom weghontm, oinomque me­gam bhorom, oinomque ghmmenm ooku bherontm .
    Owis nu ekwomos ewewquet : »Keer aghnutoi moi ekwoons agontm nerm widntei.«
    Ekwoos tu ewewquont : »Kludhi, owei, keer ghe aghnu­toi nsmei widntmos : neer, potis, owioom r wlhnaam sebhi gwhermom west­rom qurnneuti. Neghi owioom wlhnaa esti.«
    Tod kekluwoos owis agrom ebhuget .
    [Das] Schaf und [die] Pferde
    Auf [einem] Berg sah [ein] Schaf, das keine Wolle hat­te, Pferde, [von denen] eines [einen] Wagen zog, eines [eine] schwere Last trug und eines [einen] Mann ge­schwind trug .
    [Das] Schaf sprach zu [den] Pferden : »Mein Herz schmerzt mich beim Anblick von [einem] Mann, der Pferde antreibt.«
    [Die] Pferde sprachen: »Hör zu, Schaf, unsere Herzen schmerzen uns, wenn wir [dies] sehen : [Ein] Mann, der Herr, macht aus [der] Wolle von [dem] Schaf warme Klei­dung für sich selbst. Und [das] Schaf hat keine Wolle.«
    Nachdem es das gehört hatte, floh [das] Schaf in [die] Ebene .
    Die obige Fabel in rekonstruiertem Urindogermanisch, die Ihnen einen Eindruck vermitteln soll, wie diese Sprache geklungen haben mag, wurde vor über hundert Jahren von dem Linguisten August Schleicher erfun­den. Die hier abgedruckte revidierte Fassung beruht auf der von W. P. Lehmann und L. Zgusta 1979 unter Be­rücksichtigung des seit Schleichers Tagen gewachsenen Verständnisses des Urindogermanischen veröffentlich­ten Fassung. Sie wurde hier leicht verändert, um sie für Nicht-Linguisten besser verständlich zu machen, wobei ich mich auf den Rat von Jaan Puhvel gestützt habe.
    Die Sätze mögen zwar auf den ersten Blick fremd er­scheinen, doch bei näherem Hinsehen erweisen sich vie­le Wörter als vertraut, da die Wortstämme die gleichen sind wie im Deutschen oder Lateinischen. So bedeu­tet owis »Schaf« (vgl. »Aue«), wlhnaa »Wolle«, ekwoos »Pferd« (vgl. lateinisch equus) , ghmmenm »Mensch« (vgl. »human«, lateinisch hominem ) und que »und« (wie im Lateinischen). Mega bedeutet »groß« (vgl. »Megalopo­lis«), keer »Herz« (vgl. »Kardiologie«) und widntei und widntmos »sehe« bzw. »sehen« (vgl. »Video«). Der UIG-Text weist keine bestimmten und unbestimmten Artikel auf, die Verben stehen am Ende.
    Diese Textprobe verdeutlicht, wie die Sprache der Urindogermanen nach Ansicht von Linguisten geklun­gen hat, aber natürlich kann sie nur einen ungefähren Eindruck vermitteln. Bedenken Sie, daß das Indogerma­nische niemals geschrieben wurde, daß Wissenschaft -ler über die Einzelheiten seiner Rekonstruktion unter­schiedlicher Meinung sind und daß die Fabel

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