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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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unverhohlen für ihre Taten auf die Brust klopfen. Als Argentiniens General Julio Argenti­no Roca die Besiedlung der Pampas durch Weiße ein­leitete, indem er die araukanischen Indianer gnadenlos ausrotten ließ, wurde er 1880 von einer begeisterten und dankbaren argentinischen Nation zum Präsidenten ge­wählt. Wie werden die Völkermörder unserer Zeit aber mit dem Konflikt zwischen ihren Taten und universel­len Moralvorstellungen fertig ? Sie greifen auf eine von drei Arten von Rationalisierungen zurück, die alle nur Varianten der gleichen simplen psychologischen Strate­gie sind : »Schuld sind die Opfer !«
    Erstens halten die meisten Menschen Notwehr für ge­recht und vertretbar. Bei diesem Begriff handelt es sich um eine sehr praktische, dehnbare Rationalisierung, da »die anderen« immer zu einem Verhalten provoziert werden können, das dann Notwehr rechtfertigt. So lie­ferten die Tasmanier den weißen Kolonisten durch die Tötung von ungefähr 183 Siedlern während eines Zeit­raums von 34 Jahren den Vorwand für ihre fatale Re­aktion, während sie selbst durch eine weit größere Zahl von Verstümmelungen, Entführungen, Vergewaltigun­gen und Morden provoziert worden waren. Selbst Hitler berief sich auf die Pflicht zur Verteidigung des Vaterlan­des, als er den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brach, und machte sich sogar die Mühe, einen polnischen Angriff auf einen deutschen Grenzposten vorzutäuschen.
    Die zweite klassische Rechtfertigung für die un­menschliche Behandlung »anderer«, einschließlich de­ren Ausrottung, ist die eigene Zugehörigkeit zur »rich­tigen« Religionsgemeinschaft, Rasse oder politischen Glaubensgemeinschaft bzw. die vermeintliche Verkör­perung des Fortschritts oder einer höheren Kulturstufe. Als ich 1962 in München studierte, wollten mir ein paar unbelehrbare Nazis allen Ernstes weismachen, daß die Deutschen in Rußland einmarschieren mußten, da die Russen ja den Kommunismus eingeführt hatten. Meine 15 Feldassistenten in den neuguineischen Fakfak-Bergen sahen in meinen Augen zwar alle ziemlich gleich aus, doch nach und nach erklärten sie mir, wer von ihnen Moslem war und wer Christ und warum erstere (bzw. letztere) Menschen zweiter Klasse seien. Es gibt eine na­hezu universelle Hierarchie der Verachtung, nach der alphabetisierte Völker mit fortgeschrittener Metallurgie (zum Beispiel weiße Kolonialisten in Afrika) auf Hirten­völker (zum Beispiel Tutsi, Hottentotten) herabblicken, die ihrerseits auf Bauern (wie Hutu) herabsehen, die sich wiederum Nomaden oder Jägern und Sammlern (zum Beispiel Pygmäen, Buschmänner) überlegen fühlen.
    Drittens und letztens werden Tiere moralisch an­ders bewertet als Menschen, weshalb moderne Völker­mörder ihre Opfer gern mit Tieren auf eine Stufe stell­ten, um ihr Verbrechen zu rechtfertigen. Die Nazis spra­chen vom »jüdischen Bazillus« ; die in Algerien lebenden Franzosen bezeichneten die dortigen Moslems als ra­tons (Ratten); »zivilisierte« Paraguayer nannten die Jä-ger und Sammler vom Stamm der Aché »tollwütige Rat­ten«; die Buren nannten Afrikaner schlicht bobbejaan (Paviane) ; und für gebildete Nordnigerianer waren die Ibos nur »Ungeziefer«. Unsere Sprache ist reich an Tier­namen, die als Schimpfworte gebraucht werden: Du Schwein (Affe, Hund, Ochse, Ratte, Sau).
    Die australischen Kolonisten bedienten sich aller drei dieser Rationalisierungen, um die Ausrottung der Tas­manier zu rechtfertigen. Einen noch präziseren Einblick in den Ablauf des Rationalisierungsprozesses liefert die nahezu vollständige Ausrottung der Indianer. Amerika­nischen Kindern werden dazu ungefähr folgende Ein­stellungen vermittelt:
    Zunächst einmal wird um die indianische Tragödie nicht viel Aufhebens gemacht – jedenfalls nicht annä-hernd soviel wie beispielsweise um den Völkermord in Europa während des Zweiten Weltkriegs. Als große na­tionale Tragödie gilt statt dessen der Amerikanische Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts. Der Konflikt zwi­schen Weißen und Indianern wird dagegen als Sache der fernen Vergangenheit angesehen und mit militäri­schen Ausdrücken beschrieben (Schlacht von Wound­ed Knee, Eroberung des Westens usw.). Nach vorherr­schender Auffassung waren die Indianer gewalttätige Gesellen, die auch untereinander oft Kriege führten und Meister im Legen von Hinterhalten und im Begehen von Verrat waren. Ihre Barbarei war berüchtigt, vor al­lem die typisch indianischen Sitten der Marterung von

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