Der dritte Schimpanse
passierte. Josua folgte nämlich dem Gebot des Herrn und ließ die Bewohner von Jericho abschlachten, ebenso wie die von Ai, Makkadeh, Libnah, Hebron, Debir und vielen anderen Städten. Das wurde als so normal angesehen, daß jedem Blutbad im Buch Josua nur ein einziger Satz gewidmet wurde, so als ob ausgedrückt werden sollte, ja natürlich ließ er alle Bewohner umbringen, was dachten Sie denn? Die einzige Stelle, an der mehr Worte gemacht wurden, war das Blutbad in Jericho, wo Josua allerdings etwas Ungewöhnliches tat : Er ließ genau eine Familie am Leben (da sie seinen Boten Hilfe gewährt hatte).
Auf ähnliche Episoden stoßen wir in Berichten über die Kriege der Kreuzfahrer, pazifischer Inselbewohner und vieler anderer Gruppen. Natürlich folgte nicht auf jede vernichtende Niederlage in jedem Krieg die wahllose Abschlachtung der Besiegten. Doch dieses Resultat oder eine abgeschwächte Version davon, wie die Tö-tung der Männer und Versklavung der Frauen, war so häufig, daß man nicht von seltenen Abweichungen sprechen kann, wenn es um die Natur des Menschen geht. Seit 1950 gab es fast 20 Fälle, in denen man von Genozid sprechen muß, darunter zwei mit über einer Million Opfern (Bangladesch 1971, Kambodscha Ende der siebziger Jahre) und vier weitere mit über 100 000 Opfern (Sudan und Indonesien in den sechziger Jahren, Burundi und Uganda in den siebziger Jahren) (siehe Karte auf S. 503).
Genozid ist somit seit Jahrmillionen Bestandteil des Menschheitserbes. Wie steht es angesichts dieser langen Geschichte um die Einzigartigkeit des Genozids im 20. Jahrhundert ? Es läßt sich kaum bezweifeln, daß Stalin und Hitler neue Rekorde aufstellten, was die Zahl der Opfer angeht, da sie gegenüber Massenmördern früherer Jahrhunderte drei Vorteile besaßen : eine größere Siedlungsdichte der Opfer, verbesserte Kommunikationswege, was deren Zusammentreibung erleichterte, und verbesserte Technologien zur Anrichtung der Massaker. Ich will ein weiteres Beispiel dafür nennen, wie Technik Genozid Vorschub leisten kann. Die Salomon-Insulaner von Roviana Lagoon im Südwestpazifik waren berüchtigt für ihre Kopfjagden, durch die sie ganze Nachbarinseln entvölkerten. Wie mir Freunde vor Ort erklärten, erlebten diese Jagden ihren Höhepunkt jedoch erst, nachdem im 19. Jahrhundert Stahläxte die Salomon-Inseln erreicht hatten. Einen Menschen mit einer Steinaxt zu enthaupten ist nämlich eine schwierige Angelegenheit, bei der das Axtblatt schnell stumpf wird und erst mühsam wieder geschärft werden muß.
Eine viel umstrittenere Frage ist die, ob der heutige Stand der Technik den Genozid auch psychologisch leichter macht, wie Konrad Lorenz meint. Er argumentiert etwa so : Im Zuge unserer Entwicklung vom Affen zum Menschen waren wir immer stärker darauf angewiesen, Tiere zur Nahrungsbeschaffung zu töten. Wir lebten jedoch zugleich in Gemeinschaften aus immer mehr Individuen, deren Kooperation unbedingt erforderlich war. Diese Gemeinschaften konnten nur Bestand haben, wenn wir starke Hemmungen in Bezug auf die Tötung von Mitmenschen entwickelten. Während des größten Teils unserer Evolutionsgeschichte wirkten unsere Waffen nur aus nächster Nähe, so daß die Hemmung ausreichte, einen Menschen nicht zu töten, dem wir ins Gesicht blickten. Moderne Waffen umgehen dies jedoch, indem sie es möglich machen, auf Knopfdruck zu töten, ohne überhaupt das Gesicht der Opfer wahrzunehmen. Auf diese Weise schuf die Technik die Voraussetzungen für die Weiße-Kragen-Genozide von Auschwitz und Treblinka, Hiroshima und Dresden.
Ich bin nicht sicher, ob dieses psychologische Element wirklich viel zur heutigen Leichtigkeit des Genozids beigetragen hat. Denn Genozid scheint früher mindestens ebenso häufig gewesen zu sein wie heute, wenngleich die Zahl der Opfer aus praktischen Gründen begrenzt war. Um das Phänomen gründlicher zu verstehen, müssen wir das Wann und Wieviel hinter uns lassen und nach den moralischen Grundlagen des Mordens fragen.
Daß der Drang zu morden die meiste Zeit durch unser moralisches Gewissen im Zaum gehalten wird, ist offensichtlich. Die interessante Frage lautet, wodurch er entfesselt wird.
Heute wissen wir, auch wenn wir die Völker der Welt vielleicht weiterhin in »uns« und »die anderen« einteilen, daß es tausenderlei »andere« gibt, die sich alle von uns und voneinander in Sprache, Aussehen und Gewohnheiten unterscheiden. Man
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