Der dritte Schimpanse
Fremdenfeindlichkeit gemein. Sie erkennen Mitglieder anderer Horden und verhalten sich ihnen gegenüber völlig anders als zu Mitgliedern der eigenen Horde.
Kurzum, von allen menschlichen Besonderheiten – Kunst, Sprache, Drogenmißbrauch und so weiter – läßt sich Genozid am geradlinigsten von tierischen Vorläufern ableiten. Wir wissen nun, daß gewöhnliche Schimpansen Morde planen und ausführen, Nachbarhorden ausrotten, Krieg um Territorium führen und Weibchen kidnappen. Gäbe man Schimpansen Speere und Unterricht in deren Gebrauch, würde sich ihre Effizienz im Töten sicher bald unserer eigenen nähern. Das Verhalten der Schimpansen läßt daraufschließen, daß einer der Hauptgründe für das typisch menschliche Merkmal des gemeinschaftlichen Zusammenlebens die Verteidigung gegen andere Gemeinschaften war, insbesondere seit wir Waffen besitzen und unser Gehirn groß genug ist, um Überfalle zu planen. Falls diese Argumentation zutrifft, könnte die traditionell von Anthropologen gesetzte Betonung auf das Jägertum des Menschen als Triebkraft unserer Evolution am Ende doch seine Berechtigung haben – nur mit dem Unterschied, daß wir selbst, nicht etwa Mammute, unsere eigene Beute und zugleich der Feind waren, der uns zum Leben in Gruppen zwang.
Die beim Menschen häufigsten Formen von Genozid haben beide Vorläufer im Tierreich : Die unterschiedslose Tötung von Männern und Frauen deckt sich mit dem Vorgehen von gewöhnlichen Schimpansen und Wölfen, während die Tötung von Männern bei gleichzeitiger Verschonung von Frauen mit dem Verhalten von Gorillas und Löwen übereinstimmt. Beispiellos selbst im Tierreich ist hingegen das, was die argentinischen Militärs zwischen 1976 und 1983 taten, als über 10 000 politische Gegner und deren Familien, die desaparecidos (Verschwundenen), umgebracht wurden. Unter den Opfern waren wie üblich Männer, nichtschwangere Frauen und sogar Kinder von gerade erst drei oder vier Jahren, die vor der Ermordung oft noch gefoltert wurden. Doch Argentiniens Soldaten fügten dem tierischen Verhaltensrepertoire überdies ein neues Element hinzu, indem sie sich auf die Tötung schwangerer Frauen spezialisierten, die nach ihrer Verhaftung bis zur Entbindung am Leben gehalten und erst dann durch Kopfschuß ermordet wurden, so daß die Neugeborenen zur Adoption durch kinderlose Eltern aus den Rängen des Militärs zur Verfügung standen.
Wenn unsere Neigung zum Umbringen von Artgenossen also schon nicht einzigartig im Tierreich ist, könnte sie dann nicht doch eine Ausgeburt der modernen Zivilisation sein ? Entrüstet über die Zerstörung »primitiver« durch »hochentwickelte« Gesellschaften, neigen viele Schriftsteller zur Idealisierung der Opfer als edle Wilde, die von friedliebendem Charakter seien bzw. nur dann und wann einen Mord begingen, aber keine Massaker anrichteten. Erich Fromm hielt die Kriegführung von Jäger- und Sammlergesellschaften für charakteristischerweise unblutig. Gewiß waren manche dieser Völker (zum Beispiel Pygmäen und Eskimos) weniger kriegerisch als andere (Neuguineer, Prärie- und Amazonasindianer). Selbst die kriegerischen Völker, so wird behauptet, praktizieren aber eine ritualisierte Form der Kriegführung und stellen den Kampf bereits ein, wenn nur wenige Feinde gefallen sind. Diese Idealisierung deckt sich ganz und gar nicht mit meinen Erfahrungen im Hochland von Neuguinea, dessen Bewohnern oft eine beschränkte bzw. ritualisierte Kriegführung zugeschrieben wird. Zwar waren die meisten Kämpfe in Neuguinea relativ harmlos und forderten keine oder nur wenige Tote, doch es kam auch vor, daß eine Gruppe unter einer anderen ein Blutbad anrichtete. Wie andere Völker auch versuchten Neuguineer, ihre Nachbarn zu vertreiben oder zu töten, wenn es ihnen vorteilhaft , gefahrlos oder überlebenswichtig erschien.
Wenn wir frühe Zivilisationen betrachten, die bereits im Besitz einer Schrift waren, so belegen Aufzeichnungen, wie häufig Genozid vorkam. Die Kriege der Griechen und Trojaner, Römer und Karthager sowie der Assyrer und Babylonier und Perser hatten alle das eine Ziel : die Abschlachtung der Besiegten ohne Ansehen des Geschlechts oder doch die Tötung der Männer und Entführung der Frauen in die Sklaverei. Jeder kennt die biblische Schilderung vom Einsturz der Mauern von Jericho beim Ertönen von Josuas Trompeten. Seltener erfährt man, was dann
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