Der dritte Schimpanse
braucht darüber keine Worte zu verlieren, da jeder diese Tatsache aus Büchern und dem Fernsehen kennt und die meisten von uns auf Reisen sogar Erfahrungen aus erster Hand sammeln konnten. Es fällt schwer, sich in den Geisteszustand zurückzuversetzen, der während des größten Teils der menschlichen Geschichte vorherrschend war (siehe Kapitel 13). Ebenso wie Schimpansen, Gorillas und gesellig lebende Fleischfresser lebten wir in Gruppen mit jeweils eigenen Revieren. Die Welt war damals viel kleiner und simpler als heute.
Es gab nur wenige bekannte Arten von »anderen«, nämlich die unmittelbaren Nachbarn.
In Neuguinea zum Beispiel war es bis in die jüngste Vergangenheit üblich, daß zwischen den Stämmen abwechselnd Krieg geführt und paktiert wurde. Man begab sich wohl gelegentlich ins Nachbartal zu einem Besuch in Freundschaft (was nie ganz ohne Gefahr war) oder in kriegerischer Absicht, doch die Aussicht, mehrere Täler nacheinander friedlich durchqueren zu können, war fast gleich Null. Die strengen Verhaltensregeln für die eigene Gruppe galten nicht für »die anderen«, jene Feinde von nebenan, von denen man kaum mehr als eine blasse Vorstellung hatte. Als ich in Neuguinea von Tal zu Tal wanderte, warnten mich Menschen, die selbst Kannibalen waren und noch vor einem Jahrzehnt in der Steinzeit gelebt hatten, regelmäßig vor den unsagbar primitiven, abscheulichen und kannibalistischen Sitten der Menschen, denen ich im nächsten Tal begegnen würde. Selbst die Banden Al Capones im Chicago des 20. Jahrhunderts machten es sich zur Regel, Killer von auswärts anzuheuern, die das Gefühl haben konnten, einen der »anderen« und nicht der »eigenen Jungs« zu töten.
Die Schriften der alten Griechen belegen eine Fortsetzung dieses stammeszeitlichen Territorialdenkens. Die bekannte Welt war größer und vielfältiger geworden, doch »wir« Griechen wurden immer noch von »den anderen«, sprich den Barbaren, unterschieden. Das Wort »Barbaren« kommt vom griechischen barbaroi , das nichts anderes bedeutet als nichtgriechische Ausländer. Ägypter und Perser, von der kulturellen Entwicklung den Griechen nicht unterlegen, waren ebenfalls barbaroi . Es galt nicht als vorbildlich, alle Menschen gleich zu behandeln, sondern man sollte vielmehr seine Freunde belohnen und seine Feinde bestrafen. Als der athenische Schriftsteller Xenophon den von ihm bewunderten Feldherrn Kyros einmal in höchsten Tönen preisen wollte, schilderte er, wie Kyros seine Freunde für ihm erwiesene Dienste stets großzügig belohnte und strenge Vergeltung für die Missetaten seiner Feinde übte (zum Beispiel durch Ausstechen der Augen und Abschlagen der Hände).
Wie die Hyänen des Mungi- und Scratching-Rock-Rudels praktizierte der Mensch ein Verhalten, das auf einer Doppelmoral basierte : Einerseits gab es starke Hemmungen, ein Mitglied der eigenen Gruppe zu töten, und andererseits grünes Licht, »die anderen« zu töten, wenn das gefahrlos möglich war. Genozid war im Rahmen dieser Zweiteilung akzeptabel, ob man die Dichotomie nun als ehemaligen tierischen Instinkt ansieht oder als einzigartig menschlich. In der Kindheit erwerben wir alle auch heute noch dichotome Kriterien für die Respektierung bzw. Verachtung anderer. Ich erinnere mich gut an eine Szene auf dem Flughafen von Goroka im Hochland von Neuguinea. Meine Feldassistenten vom Stamm der Tudawhe standen etwas linkisch in ihren zerrissenen Hemden barfüßig neben mir, als ein unrasierter, ungewaschener Weißer mit starkem australischen Akzent und zerknittertem, tief ins Gesicht gezogenem Hut auf uns zukam. Noch bevor er begonnen hatte, die Tudawhes als »schwarze Tagediebe, die es auch in hundert Jahren nicht schaffen werden, dieses Land zu regieren« zu beschimpfen, dachte ich im stillen, »blöder Aussie, geh doch nach Hause zu deinen verdammten Schafen.« Da war sie, die Blaupause für Genozid. Ich blickte auf den Australier herab und er auf die Tudawhes, und alles wegen sekundenschnell aufgenommener kollektiver Merkmale.
Im Laufe der Zeit wurde diese uralte Strategie der Dichotomisierung eine immer unakzeptablere Grundlage für einen Moralkodex. Statt dessen begann man, wenigstens ein Lippenbekenntnis zu einem universellen Moralkodex und somit zur Gleichbehandlung aller Völker abzulegen. Genozid steht dazu in direktem Gegensatz.
Trotz dieses Konflikts konnten sich viele neuzeitliche Völkermörder
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