Der dritte Schimpanse
Maine (260 Tote) und in Pearl Harbor (ca. 2.200 Tote) zurückdenken, jene Vorfalle, die uns dazu brachten, dem Krieg gegen Mexiko, dem Spanisch-Amerikanischen Krieg und dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg zuzustimmen. Doch diese Verluste sind nichts gegen die, welche die Indianer durch uns erlitten. Bei kritischer Betrachtung müssen wir erkennen, daß wir es wie so viele moderne Völker fertigbrachten, Genozid mit unseren Moralvorstellungen in Einklang zu bringen. Der Schlüssel lag darin, Notwehr und höhere Prinzipien geltend zu machen und die Opfer als wilde Tiere anzusehen.
Unsere Fälschung der amerikanischen Geschichte beruht auf jenem Aspekt des Genozids, der für seine Verhinderung besonders wichtig ist – den psychologischen Auswirkungen auf Täter, Opfer und Außenstehende. Am rätselhaftesten ist hierbei der Effekt auf letztere, oder besser dessen Ausbleiben. Im ersten Moment möchte man meinen, daß kein Schrecken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stärker erregt als die absichtliche, kollektive, brutale Tötung einer großen Zahl von Menschen. In der Realität findet Genozid jedoch außerhalb der betroffenen Länder nur manchmal ein Echo und wird noch seltener durch Interventionen von außen gestoppt. Wer schenkte denn schon der Abschlachtung der Araber auf Sansibar 1964 oder der der Aché-Indianer in Paraguay in den siebziger Jahren viel Beachtung?
Vergleichen Sie das Ausbleiben einer Reaktion auf diese und all die anderen Fälle von Genozid, die sich in den letzten Jahrzehnten abspielten, einmal mit unserer heftigen Reaktion auf die beiden einzigen Fälle von Genozid in der jüngeren Geschichte, die in unserer Vorstellung lebendig geblieben sind: den Genozid der Nazis an den Juden und den weniger bekannten Genozid der Türken an den Armeniern. Diese Fälle unterscheiden sich in drei wesentlichen Punkten vom Genozid der Art, wie wir ihn ignorieren : Die Opfer waren Weiße und somit Objekte unserer Identifikation ; die Täter waren unsere Kriegsgegner, die wir entsprechend als Inbegriff des Bö-sen haßten (speziell die Nazis) ; und schließlich gibt es in den USA überlebende Zeugen des Grauens, die sich alle Mühe geben, die Erinnerung wachzuhalten. Es bedarf somit einer besonderen Konstellation von Umständen, um die Aufmerksamkeit der Außenwelt darauf zu lenken, daß irgendwo in der Welt ein Genozid stattfindet.
Die befremdliche Passivität Außenstehender wird durch die Untätigkeit von Regierungen, deren Handeln ja nur Ausdruck der kollektiven Psychologie ist, veranschaulicht. Die UNO verabschiedete zwar 1948 eine Konvention, in der Genozid zum Verbrechen erklärt wurde, es wurden aber nie ernsthafte Schritte unternommen, dieses Verbrechen zu verhindern, zu stoppen oder zu ahnden, obgleich genügend Anklagen gegen gerade stattfindende Genozide in Bangladesch, Burundi, Kambodscha, Paraguay und Uganda vorgetragen wurden. Auf dem Höhepunkt von Idi Amins Terror in Uganda bestand die einzige Reaktion des UNO-Generalsekretärs auf eine entsprechende Beschwerde darin, den Diktator selbst aufzufordern, der Sache nachzugehen. Die USA gehören übrigens nicht einmal zu den Ländern, die die UNO-Konvention über Genozid ratifiziert haben.
Liegt das verblüffende Ausbleiben von Reaktionen etwa daran, daß wir über Genozide nichts wußten oder erfahren konnten, als sie gerade stattfanden ? Gewiß nicht, da in den sechziger und siebziger Jahren vielfach ausführlich darüber berichtet wurde, zum Beispiel im Falle von Bangladesch, Brasilien, Burundi, Kambodscha, Ost-Timor, Äquatorial-Guinea, Indonesien, Libanon, Paraguay, Ruanda, Sudan, Uganda und Sansibar. (In Bangladesch und Kambodscha betrug die Zahl der Opfer jeweils über eine Million.) So erhob der brasilianische Staat 1968 Anklage gegen 134 der 700 Angestellten seiner Behörde für den Schutz der Indianer wegen ihrer Mitwirkung an der Ausrottung von Indianerstämmen im Amazonasgebiet. Zu den Verbrechen, die in dem 5115 Seiten starken Figueiredo-Report von Brasiliens Generalstaatsanwalt detailliert aufgelistet und auf einer Pressekonferenz des brasilianischen Innenministers verkündet wurden, zählten unter anderem : Ermordung von Indianern durch Dynamit, Maschinengewehrfeuer, mit Arsen vergifteten Zucker und absichtlich verbreitete Krankheiten wie Pocken, Grippe, Tuberkulose und Masern ; Entführung und Versklavung von Indianerkindern; Anheuerung professioneller
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