Der dritte Schimpanse
stellt sich die Frage, warum Menschenaffen keine viel komplexeren natürlichen Sprachen entwickelten.
Die Antwort hängt anscheinend mit dem Kehlkopf, der Zunge und den entsprechenden Muskeln zusammen, die uns die genaue Aussprache bestimmter Laute ermöglichen. Wie ein Uhrwerk, das in all seinen Teilen präzise konstruiert sein muß, damit es die Zeit anzeigen kann, hängt unser Stimmapparat vom präzisen Funktionieren vieler einzelner Elemente ab. Schimpansen gelten als physisch nicht in der Lage, einige der einfachsten menschlichen Vokallaute hervorzubringen. Wäre unser Repertoire ebenfalls auf nur wenige Vokale und Konsonanten beschränkt, so würde unser Wortschatz erheblich schrumpfen. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Absatz und wandeln Sie alle Vokale außer »a« und »i« in einen von beiden um und alle Konsonanten außer »d«, »m« und »s« in einen dieser drei. Und prüfen Sie dann, inwieweit Sie den Inhalt noch verstehen.
Das fehlende Etwas könnte also in Veränderungen des Stimmapparats bestanden haben, durch die wir eine genauere Kontrolle und die Fähigkeit zum Bilden einer weitaus größeren Zahl von Lauten erlangten. Solche Veränderungen des Muskelapparates waren an Schädelfunden schwierig oder gar nicht nachweisbar.
Man kann leicht nachvollziehen, wie eine winzige anatomische Veränderung, durch die wir die Sprechfä-higkeit erwarben, zu einem gewaltigen Verhaltenswandel geführt haben mag. Mit Hilfe der Sprache läßt sich binnen weniger Sekunden eine Botschaft vermitteln wie »Bieg beim vierten Baum scharf rechts ab und treib die Antilope zu dem rötlichen Felsen, hinter dem ich mit dem Speer warte.« Ohne Sprache wäre diese Botschaft überhaupt nicht mitteilbar. Es könnten ohne Sprache auch keine Einfälle zur Verbesserung von Werkzeugen oder zur Bedeutung einer Höhlenmalerei diskutiert werden. Selbst ein einzelner Urmensch hätte große Schwierigkeiten gehabt, sich über ein verbessertes Werkzeug Gedanken zu machen.
Ich behaupte nicht, daß der »große Sprung« mit den Mutationen, die zu einer geänderten Zungen- und Kehlkopfanatomie führten, sogleich begann. Es muß noch Tausende von Jahren bis zur Vollendung von Sprachstrukturen wie den unseren – mit festgelegter Wortstellung im Satz, Kasusendungen und Zeitformen – und zur Entstehung eines größeren Wortschatzes gedauert haben. Kapitel 8 enthält Überlegungen zu den möglichen Stadien der Entwicklung unserer Sprache. Wenn aber das fehlende Etwas auf Veränderungen unseres Stimmapparates beruhte, die eine genauere Lautkontrolle ermöglichten, dann mußte die Fähigkeit zur Innovation irgendwann folgen. Es war das gesprochene Wort, das uns die Freiheit gab.
Diese Interpretation erklärt in meinen Augen das Fehlen von Beweisen dafür, daß Mischlinge von Neandertalern und Cro-Magnons je existierten. Der Sprache kommt in den Beziehungen zwischen Mann und Frau und ihren Kindern eine überragende Bedeutung zu. Das heißt nicht, daß Stumme oder Taube in unserer Gesellschaft nicht lernen könnten, gut zurechtzukommen ; aber ihnen gelingt es, indem sie Alternativen zu einer bereits bestehenden gesprochenen Sprache finden. Angenommen, die Neandertaler hatten eine viel einfachere Sprache als unsere oder überhaupt keine, dann überrascht es nicht, wenn Cro-Magnons kein Interesse daran hatten, Ehen mit ihnen einzugehen.
Ich sagte bereits, daß wir vor 40 000 Jahren in Anatomie, Verhalten und Sprache völlig modern waren und daß ein Cro-Magnon das Zeug gehabt hätte, Pilot zu werden. Warum verging dann aber nach dem »großen Sprung« so viel Zeit, bis die Schrift erfunden und der Parthenontempel errichtet wurde ? Die Antwort dürfte ebenso lauten wie auf die Frage, warum die Römer, die doch so großartige Ingenieure waren, keine Atombombe bauten. Zum Bau einer solchen Bombe waren zweitausend Jahre technischen Fortschritts über das Niveau der Römer hinaus erforderlich, zum Beispiel die Erfindung des Schießpulvers und der höheren Rechenarten, die Entwicklung der Atomtheorie und die Gewinnung von Uran. In gleicher Weise erforderten die Erfindung der Schrift und der Bau des Parthenon Jahrzehntausende kumulativer Entwicklungen nach dem erstmaligen Auftreten des Cro-Magnons, darunter die Erfindung von Pfeil und Bogen, die Töpferei, die Domestikation von Pflanzen und Tieren und vieles mehr.
Bis zum »großen Sprung« hatte sich die menschliche Kultur über Jahrmillionen im
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