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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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stellt sich die Frage, warum Men­schenaffen keine viel komplexeren natürlichen Sprachen entwickelten.
    Die Antwort hängt anscheinend mit dem Kehlkopf, der Zunge und den entsprechenden Muskeln zusam­men, die uns die genaue Aussprache bestimmter Laute ermöglichen. Wie ein Uhrwerk, das in all seinen Teilen präzise konstruiert sein muß, damit es die Zeit anzeigen kann, hängt unser Stimmapparat vom präzisen Funk­tionieren vieler einzelner Elemente ab. Schimpansen gel­ten als physisch nicht in der Lage, einige der einfachsten menschlichen Vokallaute hervorzubringen. Wäre unser Repertoire ebenfalls auf nur wenige Vokale und Konso­nanten beschränkt, so würde unser Wortschatz erheb­lich schrumpfen. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Ab­satz und wandeln Sie alle Vokale außer »a« und »i« in einen von beiden um und alle Konsonanten außer »d«, »m« und »s« in einen dieser drei. Und prüfen Sie dann, inwieweit Sie den Inhalt noch verstehen.
    Das fehlende Etwas könnte also in Veränderungen des Stimmapparats bestanden haben, durch die wir eine genauere Kontrolle und die Fähigkeit zum Bilden ei­ner weitaus größeren Zahl von Lauten erlangten. Solche Veränderungen des Muskelapparates waren an Schädel­funden schwierig oder gar nicht nachweisbar.
    Man kann leicht nachvollziehen, wie eine winzige anatomische Veränderung, durch die wir die Sprechfä-higkeit erwarben, zu einem gewaltigen Verhaltenswan­del geführt haben mag. Mit Hilfe der Sprache läßt sich binnen weniger Sekunden eine Botschaft vermitteln wie »Bieg beim vierten Baum scharf rechts ab und treib die Antilope zu dem rötlichen Felsen, hinter dem ich mit dem Speer warte.« Ohne Sprache wäre diese Botschaft überhaupt nicht mitteilbar. Es könnten ohne Sprache auch keine Einfälle zur Verbesserung von Werkzeugen oder zur Bedeutung einer Höhlenmalerei diskutiert wer­den. Selbst ein einzelner Urmensch hätte große Schwie­rigkeiten gehabt, sich über ein verbessertes Werkzeug Gedanken zu machen.
    Ich behaupte nicht, daß der »große Sprung« mit den Mutationen, die zu einer geänderten Zungen- und Kehl­kopfanatomie führten, sogleich begann. Es muß noch Tausende von Jahren bis zur Vollendung von Sprach­strukturen wie den unseren – mit festgelegter Wortstel­lung im Satz, Kasusendungen und Zeitformen – und zur Entstehung eines größeren Wortschatzes gedauert ha­ben. Kapitel 8 enthält Überlegungen zu den möglichen Stadien der Entwicklung unserer Sprache. Wenn aber das fehlende Etwas auf Veränderungen unseres Stimm­apparates beruhte, die eine genauere Lautkontrolle er­möglichten, dann mußte die Fähigkeit zur Innovation irgendwann folgen. Es war das gesprochene Wort, das uns die Freiheit gab.
    Diese Interpretation erklärt in meinen Augen das Fehlen von Beweisen dafür, daß Mischlinge von Nean­dertalern und Cro-Magnons je existierten. Der Sprache kommt in den Beziehungen zwischen Mann und Frau und ihren Kindern eine überragende Bedeutung zu. Das heißt nicht, daß Stumme oder Taube in unserer Gesell­schaft nicht lernen könnten, gut zurechtzukommen ; aber ihnen gelingt es, indem sie Alternativen zu einer bereits bestehenden gesprochenen Sprache finden. An­genommen, die Neandertaler hatten eine viel einfache­re Sprache als unsere oder überhaupt keine, dann über­rascht es nicht, wenn Cro-Magnons kein Interesse daran hatten, Ehen mit ihnen einzugehen.
    Ich sagte bereits, daß wir vor 40 000 Jahren in Anato­mie, Verhalten und Sprache völlig modern waren und daß ein Cro-Magnon das Zeug gehabt hätte, Pilot zu werden. Warum verging dann aber nach dem »großen Sprung« so viel Zeit, bis die Schrift erfunden und der Parthenontempel errichtet wurde ? Die Antwort dürfte ebenso lauten wie auf die Frage, warum die Römer, die doch so großartige Ingenieure waren, keine Atombom­be bauten. Zum Bau einer solchen Bombe waren zwei­tausend Jahre technischen Fortschritts über das Niveau der Römer hinaus erforderlich, zum Beispiel die Erfin­dung des Schießpulvers und der höheren Rechenarten, die Entwicklung der Atomtheorie und die Gewinnung von Uran. In gleicher Weise erforderten die Erfindung der Schrift und der Bau des Parthenon Jahrzehntausen­de kumulativer Entwicklungen nach dem erstmaligen Auftreten des Cro-Magnons, darunter die Erfindung von Pfeil und Bogen, die Töpferei, die Domestikation von Pflanzen und Tieren und vieles mehr.
    Bis zum »großen Sprung« hatte sich die menschliche Kultur über Jahrmillionen im

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