Der dritte Schimpanse
Interesse für Sprachen naheliegend. Vor allem aber war es fast unmöglich, die Evolution und das Aussterben von Vogelarten zu erforschen, ohne mehr über die Evolution und das mögliche Aussterben des Homo sapiens ,der mit Abstand interessantesten Spezies von Lebewesen, erfahren zu wollen. Dies um so mehr, als Neuguinea von einer überwältigenden ethnischen und kulturellen Vielfalt geprägt ist.
Auf diese Weise entwickelte sich mein Interesse an den speziellen Aspekten der Menschheit, die das Thema dieses Buches sind. Ich muß mich dabei nicht für unangemessene Einseitigkeit entschuldigen. Viele ganz hervorragende Bücher von Anthropologen und Archäologen befassen sich mit der menschlichen Evolution unter dem Gesichtspunkt von Werkzeugen und Skeletten,
so daß ich diese Bereiche relativ kurz abhandeln kann. Viel weniger Aufmerksamkeit erhielten hingegen bisher meine besonderen Interessensgebiete : der menschliche Lebenszyklus, die Bevölkerungsgeographie, unsere Einwirkung auf die Umwelt und die Betrachtung des Menschen als eines Angehörigen des Tierreichs. Diese Themen sind im Zusammenhang mit der Evolution des Menschen ebenso wichtig wie die traditionelle Beschäftigung mit Werkzeugen und Skeletten.
Was zunächst als Fülle von Beispielen aus Neuguinea erscheinen mag, ist nach meiner Ansicht eine sehr nützliche Basis. Zugegeben, Neuguinea ist nur eine Insel in einem bestimmten Gebiet der Erde, dem tropischen Pazifik, und liefert kaum einen repräsentativen Querschnitt der modernen Menschheit. Doch dafür beherbergt Neuguinea ein wesentlich breiteres Spektrum der Menschheit, als man, ausgehend von der Größe der Insel, zunächst annehmen würde. Rund tausend der weltweit etwa 5000 Sprachen der Gegenwart werden nur in Neuguinea gesprochen. Die Insel birgt auch einen großen Teil der kulturellen Vielfalt, die unserem Planeten noch geblieben ist. Alle Hochlandvölker im gebirgigen Landesinneren waren bis in die jüngste Vergangenheit hinein noch steinzeitliche Bauern, während viele der Tieflandstämme als nomadische Jäger und Sammler oder Fischer lebten, die nebenbei ein wenig Landwirtschaftbetrieben. Die Fremdenfeindlichkeit hatte, ebenso wie die kulturelle Vielfalt, ein extrem hohes Ausmaß, und eine Reise außerhalb des eigenen Stammesgebietes glich einem Selbstmordversuch. Viele der Einheimischen, mit denen ich zusammenarbeitete, waren großartige Jäger und hatten ihre Kindheit noch in den Tagen der Steinwerkzeuge und des Fremdenhasses verbracht. Neuguinea dürfte damit das beste noch verbliebene Beispiel für die Verhältnisse sein, die in vielen Teilen der Welt bis vor gar nicht langer Zeit geherrscht haben müssen.
Die Geschichte von unserem Aufstieg und Fall gliedert sich naturgemäß in fünf Teile. In Teil I (Kapitel 1 und 2) verfolge ich unseren Werdegang von vor mehreren Jahrmillionen bis kurz vor dem Erscheinen der Landwirtschaft vor zehntausend Jahren. In den beiden Kapiteln geht es um Skelette, Werkzeuge und genetische Anlagen – also um archäologische und biochemische Indizien, die uns den unmittelbarsten Einblick in unsere Entwicklung geben. Fossile Skelettreste und Werkzeuge lassen sich oft datieren, so daß auch der Zeitpunkt von Veränderungen abgeleitet werden kann. Wir befassen uns mit der Aussage, daß der Mensch genetisch noch zu 98 Prozent ein Schimpanse ist, und versuchen festzustellen, was wohl in den übrigen zwei Prozent unseren großen Sprung nach vorn bewirkt haben mag.
Im zweiten Teil (Kapitel 3 bis 7) geht es um Veränderungen im menschlichen Lebenszyklus, die für das Entstehen der Sprache und Kunst ebenso wichtig waren wie die in Teil I behandelten anatomischen Veränderungen. Für uns ist es absolut natürlich, daß wir unsere Kinder nach der Entwöhnung von der Muttermilch weiter mit Nahrung versorgen, statt sie sich selbst zu überlassen ; daß die meisten Männer und Frauen als Paare zusammenleben; daß die meisten Väter genauso wie die Mütter für den Nachwuchs sorgen; daß viele Menschen alt genug werden, um noch ihre Enkel zu erleben ; und daß Frauen in die Wechseljahre kommen. Für uns ist das alles selbstverständlich, doch nach den Maßstäben unserer engsten Verwandten im Tierreich sind diese Verhaltensweisen höchst seltsam. Sie stellen krasse Abweichungen im Vergleich zu unseren Vorfahren dar, wenngleich sie keinen fossilen Ausdruck finden und wir deshalb nicht wissen, wann sie
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