Der dritte Schimpanse
Lö-wen besser mit einem Speer als mit einem Stein in der Hand verteidigen, und noch besser mit einer Schußwaffe. Doch kulturelle und technische Fortschritte allein hätten nicht ausgereicht, wenn sich nicht auch Veränderungen in unserem Körper vollzogen hätten, um ein höheres Alter zu ermöglichen. Kein Menschenaffe in einem Zookäfig, der die Früchte der modernsten Technik und Tiermedizin genießt, wird 80 Jahre alt. Ich werde in diesem Kapitel darlegen, daß eine Anpassung unserer biologischen Beschaffenheit an die durch kulturellen Fortschritt ermöglichte höhere Lebenserwartung erfolgte. Insbesondere möchte ich die Vermutung äußern, daß die Werkzeuge der Cro-Magnons nicht der einzige Grund dafür waren, daß sie im Durchschnitt älter wurden als die Neandertaler. Vielmehr muß sich unsere Biologie um die Zeit des »großen Sprungs« so geändert haben, daß sich das Altern verlangsamte. In diese Zeit mag auch die Evolution des Klimakteriums fallen, jenes Begleitumstands des Alterns, der paradoxerweise die weibliche Lebensspanne verlängert.
Die Art und Weise, wie Wissenschaftler über das Altern nachdenken, hängt davon ab, ob sie ein Interesse an unmittelbaren oder grundsätzlichen Erklärungen haben. Diesen Unterschied will ich anhand der Frage verdeutlichen, warum Stinktiere stinken. Ein Chemiker oder Molekularbiologe würde etwa diese Antwort geben :
»Weil Stinktiere chemische Verbindungen mit bestimmtem Molekülaufbau absondern. Aufgrund der Prinzipien der Quantenmechanik resultieren diese in schlechtem Geruch. Der schlechte Geruch dieser Sekrete ist unabhängig davon, welche biologischen Funktionen er haben mag.«
Ein Evolutionsbiologe würde dagegen so argumentieren : »Der Grund ist darin zu suchen, daß Stinktiere leichte Beute wären, würden sie sich nicht durch ihren Gestank verteidigen. Durch die natürliche Selektion erwarben sie die Fähigkeit zur Absonderung stinkender Sekrete ; dabei überlebten am ehesten die Stinktiere mit dem übelsten Geruch und konnten die größte Nachkommenschaft hinterlassen. Der Molekülaufbau dieser Stoffe ist ein rein zufälliges Detail; andere übelriechende Stoffe wären den Stinktieren ebenso recht.«
Der Chemiker gab eine unmittelbare Erklärung, indem er auf den für die zu erklärende Beobachtung unmittelbar verantwortlichen Mechanismus verwies. Der Evolutionsbiologe trug dagegen eine grundsätzliche Erklärung vor, indem er die Funktion bzw. Ereigniskette erläuterte, die der Existenz des Mechanismus zugrunde liegt. Beide, Chemiker und Evolutionsbiologe, würden die Antwort des jeweils anderen zurückweisen, da sie »nicht die wirkliche Erklärung« enthalte.
In ähnlicher Weise werden Untersuchungen über das Altern von zwei wissenschaftlichen Disziplinen angestellt, zwischen denen kaum Kontakt besteht. Die eine bemüht sich um eine unmittelbare, die andere um eine grundsätzliche Erklärung. Evolutionsbiologen versuchen zu begreifen, wie die natürliche Selektion zulassen konnte, daß Lebewesen überhaupt altern, und meinen, darauf eine Antwort gefunden zu haben. Physiologen hingegen erforschen die Zellmechanismen, die dem Alterungsprozeß zugrunde liegen, und räumen ein, daß ihnen die Antwort noch fehlt. Ich werde begründen, warum sich das Altern nach meiner Ansicht nicht verstehen läßt, sofern nicht nach beiden Arten von Erklärungen parallel gesucht wird. Insbesondere gehe ich davon aus, daß die (grundsätzliche) evolutionstheoretische Erklärung uns dabei helfen wird, auch die physiologische (unmittelbare) Erklärung für das Altern, die sich der Wissenschaft bisher entzogen hat, ausfindig zu machen.
Bevor ich diesen Gedankengang näher erläutere, will ich lieber Einwänden meiner physiologischen Kollegen zuvorkommen. Sie neigen zu der Ansicht, daß etwas an unserer Physiologie das Altern irgendwie unvermeidlich macht und evolutionstheoretische Überlegungen deshalb belanglos sind. Eine dieser Theorien führt beispielsweise das Altern auf die angeblich wachsenden Schwierigkeiten unseres Immunsystems zurück, zwischen eigenen und fremden Zellen zu unterscheiden. Physiologen, die sich diesen Standpunkt zu eigen machen, treffen implizit die Annahme, daß die natürliche Selektion nicht zu einem Immunsystem ohne solche verhängnisvolle Schwäche führen konnte. Ist dieser Glaube gerechtfertigt?
Zur Beurteilung dieses Einwands wollen wir uns die
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