Der dritte Schimpanse
Körper reparieren oder ersetzen ?
Die Antwort hängt sicher mit den Kosten der Reparaturen zusammen. Wieder bietet sich der Vergleich mit dem Auto an. Schenkt man Mercedes-Benz Glauben, dann sind die Autos dieser Marke so solide gebaut, daß sie jahrelang ihren Dienst verrichten, auch wenn man auf jegliche Wartung verzichtet – also nicht einmal das Ol wechselt. Danach wird natürlich auch ein Mercedes wegen der angesammelten, nicht mehr zu reparierenden Schäden den Geist aufgeben. Mercedes-Besitzer entscheiden sich deshalb im allgemeinen für eine regelmäßige Wartung ihres Fahrzeugs. Mercedes-Fahrer aus meiner Bekanntschaft erzählen mir, daß die Wartung bei dieser Marke sehr teuer ist und jeder Werkstattbesuch ein paar hundert Dollar verschlingt. Dennoch finden sie, daß sich die Ausgabe lohnt. Ein gewarteter Mercedes hält viel länger als ein ungewarteter, und es kommt einen wesentlich billiger zu stehen, einen alten Mercedes regelmäßig zu warten, als ihn abzustoßen und alle paar Jahre einen neuen anzuschaffen.
So jedenfalls argumentieren Mercedes-Besitzer in Deutschland und Amerika. Aber nehmen Sie einmal an, Sie lebten in Port Moresby, der Hauptstadt von Papua-Neuguinea und der Stadt mit den relativ meisten Autounfällen weltweit, wo jedes Auto mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres zu Schrott gefahren wird, egal wie man es pflegt und wartet. Viele Autobesitzer in Neuguinea ersparen sich die Wartungskosten und legen das Geld lieber für den unvermeidlichen Kauf ihres nächsten Autos beiseite.
Analog hängt es von den Kosten der Reparaturen und von einem Vergleich der zu erwartenden Lebensdauer mit und ohne Reparaturen ab, wieviel ein Tier in seine Selbstheilungskräfte investieren »sollte« (vom Standpunkt der Evolution). Doch Fragen dieser Art gehören in den Bereich der Evolutionsbiologie, nicht der Physiologie. Die natürliche Selektion maximiert tendenziell die Zahl der überlebenden Nachkommen, die wiederum selbst Nachwuchs hinterlassen. Die Evolution läßt sich somit als Strategiespiel auffassen, in dem das Individuum gewinnt, dessen Strategie in der größten Nachkommenschaft gipfelt. Folglich erweisen sich spieltheoretische Überlegungen als nützlich, wenn wir herausfinden wollen, wie wir so wurden, wie wir sind. Das Problem der Lebensdauer und der Investition in Selbstheilungskräfte gehört seinerseits zu einer noch breiteren Klasse evolutionstheoretischer Probleme, auf die sich die Spieltheorie anwenden läßt : das Rätsel, wie eigentlich für ein vorteilhaftes Merkmal eine obere Begrenzung festgelegt wird. Außer der Lebensdauer gibt es zahlreiche andere biologische Merkmale, welche die Frage aufwerfen, warum die natürliche Selektion sie nicht länger oder größer, schneller oder häufiger werden ließ. Beispielsweise haben große, intelligente und flinke Menschen offenkundige Vorteile gegenüber kleinen, dummen und trägen Menschen – was besonders während des größten Teils der menschlichen Evolution galt, als wir uns noch vor Löwen und Hyänen schützen mußten. Warum wurden wir also nicht im Durchschnitt noch größer, intelligenter und schneller, als wir es jetzt sind?
Diese Konstruktionsprobleme der Evolution sind weniger simpel, als sie zunächst erscheinen mögen, und zwar aufgrund folgender Komplikation: Die natürliche Selektion wirkt auf ganze Individuen, nicht nur auf einzelne Teile von ihnen. Wer überlebt und Nachwuchs hinterläßt oder auch nicht, das sind Sie insgesamt, nicht nur Ihr großes Hirn oder Ihre flinken Beine. Die Vergrößerung eines bestimmten Körperteils könnte zwar in einer Hinsicht zweckmäßig sein, aber in anderer schädlich. So wäre es denkbar, daß es zu Problemen im Zusammenspiel mit anderen Körperteilen kommt oder daß diesen zuviel Energie entzogen wird.
Für Evolutionsbiologen lautet das Zauberwort im Zusammenhang mit dieser Komplikation »Optimierung«. Die natürliche Selektion gestaltet tendenziell jedes Merkmal so, daß dabei diejenige Größe, Geschwindigkeit oder Anzahl herauskommt, die das Überleben und den Fortpflanzungserfolg insgesamt maximiert, ausgehend vom grundlegenden körperlichen Design des jeweiligen Tieres. Es tendiert also nicht jedes Einzelmerkmal zum Maximalwert. Vielmehr erfolgt eine Konvergenz auf einem optimalen mittleren, weder zu großen noch zu kleinen Wert. Dadurch ist das Tier insgesamt erfolgreicher, als wenn das
Weitere Kostenlose Bücher