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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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betreffende Merkmal größer oder kleiner wäre.
    Sollte Ihnen diese Argumentation zu abstrakt erschei­nen, dann denken Sie statt an Tiere an die Maschinen unseres Alltagslebens. Grundsätzlich gelten die glei­chen Prinzipien für die Konstruktion von Maschinen durch Menschen wie für die evolutionäre Gestaltung von Tieren durch die natürliche Selektion. Nehmen wir zum Beispiel meinen VW Käfer von 1962, Wonne mei­nes Herzens und immer noch das einzige Auto, das ich je besaß. (Autofans erinnern sich vielleicht, daß 1962 das Jahr war, in dem der Käfer seine große Heckschei­be bekam.) Auf glatter, ebener Fahrbahn und mit etwas Rückenwind läuft er bis etwa 100 km/h. BMW-Fahrer mögen das ausgesprochen suboptimal finden. Warum verschrotte ich nicht einfach meine kümmerliche Vier­zylinder-Maschine mit nur 40 PS und ersetze sie durch eine Zwölfzylinder-Maschine mit 296 PS aus dem BMW 750 IL meines Nachbarn, damit ich mit fast 300 Sachen über die Autobahn brausen kann?
    Selbst jemand mit so wenig Ahnung von Autos wie ich weiß, daß das nicht klappen würde. Zunächst einmal paßt die große BMW-Maschine gar nicht in den kleinen Motorraum meines Käfers, er müßte also vergrößert wer­den. Außerdem gehört die BMW-Maschine nach vorne, während der Motorraum beim Käfer hinten ist, was Än­derungen am Getriebe, an der Kraftübertragung und so weiter erforderlich machen würde. Auch die Stoßdämp­fer und Bremsen müßten ersetzt werden, denn sie sind ja dazu ausgelegt, mein Fahrzeug bei 100 km/h zu fe­dern und zu stoppen, aber nicht bei fast 300 km/h. Bis ich meinen VW derart modifiziert hätte, daß die BMW-Maschine zu ihm passen würde, wäre von meinem ur­sprünglichen Käfer nicht mehr viel übrig, und die Um­bauten hätten mich einen Haufen Geld gekostet. Ich ver­mute, meine kümmerliche 40-PS-Maschine ist insofern optimal, als ich die Fahrgeschwindigkeit nicht steigern kann, ohne andere Leistungsmerkmale meines Autos zu opfern – und andere kostspielige Gewohnheiten, die Teil meines Lebensstils geworden sind.
    Am freien Markt haben zwar technische Monster wie ein VW mit BMW-Maschine letzten Endes keine Chan­ce, wir können uns aber an viele derartige Ungeheuer­lichkeiten erinnern, die ziemlich lange brauchten, um von der Bildfläche zu verschwinden. Besonders für die­jenigen Leser, die sich wie ich für Seekriegführung in­teressieren, sind die britischen Schlachtkreuzer ein gu­tes Beispiel. Vor und während des Ersten Weltkriegs ließ die britische Marine 13 Kriegsschiffe mit der Bezeich­nung »Schlachtkreuzer« (battle­cruisers) bauen, die so groß und mit so vielen Geschützen ausgerüstet sein soll­ten wie Schlachtschiffe, dabei aber viel schneller. Mit der Maximierung von Geschwindigkeit und Feuerkraft weckten die Schlachtkreuzer sofort die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und wurden zu einer propagandisti­schen Sensation. Wenn man aber bei einem Schlacht­schiff von 28 000 Tonnen das Gewicht der schweren Ge­schütze nahezu konstant läßt und wesentlich schwere­re Maschinen einbaut, das Gesamtgewicht aber bei etwa 28 000 Tonnen läßt, muß unweigerlich anderswo Ge­wicht eingespart werden. Die Schlachtkreuzer sparten vor allem an der Panzerung, aber auch am Gewicht der kleineren Geschütze, der Innenwände und der Flugab­wehrkanonen.
    Die Folgen dieser suboptimalen Konstruktion ließen nicht auf sich warten. Im Jahre 1916 gingen die Schif­fe H. M. S. Indefatigable, H. M. S. Queen Mary und H .
    M. S. Invincible in der Schlacht vor dem Skagerrak nach den ersten Treffern fast sofort in Flammen auf. H.M.S. Hood wurde 1941 zerstört, ganze acht Minuten nach Ge­fechtsbeginn mit dem berühmten deutschen Schlacht­schiff Bismarck. H.M.S. Repulse wurde von japanischen Bombern wenige Tage nach dem Angriff auf Pearl Har­bor versenkt und erlangte zweifelhaften Ruhm als erstes großes Kriegsschiff, das in einem Seegefecht aus der Luft zerstört worden war. Konfrontiert mit diesen betrübli­chen Beweisen dafür, daß einige aufsehenerregende De­tails kein optimales Ganzes ergeben, ließ die britische Marine die Gattung Schlachtkreuzer aussterben.
    Kurzum, Ingenieure können nicht isoliert vom Rest an einzelnen Teilen herumbasteln, da jedes Teil Investi­tionen in Form von Geld, Raum und Gewicht beinhaltet, die auch in andere Teile hätten fließen können. Zu fra­gen ist vielmehr, welche Kombination die Effizienz einer Maschine optimiert. Ganz ähnlich kann die Evolution nicht

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