Der dritte Schimpanse
Folglich lautet unsere Annahme, daß die Investitionen in die Selbstheilung mit dem Alter der ersten Fortpflanzung zunehmen.
Damit, daß Menschen mit der ersten Geburt viel länger warten als Mäuse, hängt beispielsweise zusammen, daß wir auch viel langsamer altern als diese, so daß anzunehmen ist, daß wir unseren Körper viel wirksamer heilen. Selbst bei reichhaltiger Ernährung und bester medizinischer Betreuung kann sich eine Maus glücklich schätzen, ihren zweiten Geburtstag zu erleben, während wir Pech hätten, würden wir nicht 72 Jahre alt werden. Der evolutionstheoretische Hintergrund ist der, daß ein Mensch, der nicht mehr von seiner Energie in die Selbstheilung investierte als eine Maus, lange vor Erreichen der Pubertät dahingeschieden wäre. Insofern stellt die Selbstheilung beim Menschen eine lohnendere Investition dar als bei der Maus.
Woraus mag diese angenommene zusätzliche Energieausgabe des Menschen wohl konkret bestehen? Auf den ersten Blick erscheinen die menschlichen Selbstheilungskräfte nicht sehr imposant. Wir sind nicht in der Lage, uns einen amputierten Arm nachwachsen zu lassen, und wir erneuern auch nicht regelmäßig unser Skelett, wie es manch kurzlebiges Tier aus dem Reich der Wirbellosen zu tun pflegt. Doch solche spektakulären, aber selten zu erbringenden Leistungen sind wahrscheinlich nicht der größte Posten im Selbstheilungsbudget. Vielmehr ist der größte Posten jene unsichtbare Erneuerung einer gigantischen Zahl von Zellen und Molekülen, wie sie sich bei uns permanent wiederholt. Selbst wenn Sie nur im Bett herumliegen, benötigen Sie täglich 1640 Kalorien als Mann bzw. 1430 Kalorien als Frau nur dafür, Ihren Körper zu erhalten. Ein Großteil dieses Erhaltungsstoff -wechsels entfällt auf unsere besagte unsichtbare Erneuerung. Deshalb würde ich vermuten, daß wir in dem Sinne mehr kosten als eine Maus, daß wir einen größeren Teil unserer Energie in die Selbstheilung investieren und einen kleineren Teil für andere Zwecke verausgaben, wie die Warmhaltung unseres Körpers oder die Babypflege.
Im zweiten Beispiel, das ich erörtern will, geht es um das Risiko irreparabler Verletzungen. Manche biologischen Schäden sind potentiell reparabel, aber daneben gibt es Schäden, die garantiert mit dem Tod enden (zum Beispiel, von einem Löwen gefressen zu werden). Wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß Sie morgen von einem Löwen gefressen werden, ergibt es keinen Sinn, heute einem Zahnarzt Geld für teure kieferorthopädische Arbeiten in den Rachen zu werfen. Am besten wäre es, Sie ließen Ihre Zähne verfaulen und fingen sofort damit an, für Nachwuchs zu sorgen. Doch wenn das Risiko für ein Tier gering ist, Unfälle mit irreparablen Schäden zu erleiden, hätte es einen potentiellen Vorteil in Form einer längeren Lebensdauer davon, Energie in kostspielige Selbstheilungsmechanismen zu investieren, die den Prozeß des Alterns verlangsamen. Dieser Gedankengang veranlaßt Mercedes-Besitzer in Deutschland und den USA, nicht jedoch in Neuguinea, ihre Autos warten zu lassen.
Eine Analogie aus der Biologie ist die, daß das Risiko, Opfer von Raubtieren zu werden, für Vögel niedriger ist als für Säugetiere (sie können eben einfach davonfliegen) und für Schildkröten niedriger als für die meisten anderen Reptilien (da ihnen der Rückenschild Schutz bietet). Folglich haben Vögel und Schildkröten im Gegensatz zu flugunfähigen Säugetieren und ungepanzerten Reptilien, die ohnehin bald von Raubtieren gefressen werden, durch aufwendige Selbstheilungsmechanismen viel zu gewinnen. Stellt man Vergleiche zwischen der Lebensdauer verschiedener wohlgenährter Haustiere an, die alle keine Räuber zu fürchten brauchen, dann stellt sich heraus, daß Vögel in der Tat länger leben (also langsamer altern) als gleichgroße Säugetiere und daß Schildkröten ein höheres Alter erreichen als ungepanzerte Reptilien ähnlicher Größe. Die am besten vor Raubtieren geschützten Vogelarten sind Seevögel wie Sturmvogel und Albatros, die auf entlegenen Inseln im Ozean nisten, wo sie keine natürlichen Feinde haben. Ihr gemächlicher Lebenszyklus ähnelt durchaus dem des Menschen. Manche Albatrosse legen erst nach zehn Lebensjahren Eier. Wie alt sie genau werden, weiß man bis heute nicht, aber jedenfalls älter als die Metallringe, die ihnen Biologen vor einigen Jahrzehnten an den Beinen anbrachten, um diese Frage zu
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