Der dritte Schimpanse
mit einzelnen Körpermerkmalen unabhängig vom Rest des jeweiligen Lebewesens herumexperimentieren, da jedes Körperteil, jedes Enzym und jedes Teil der DNS Energie und Platz zu Lasten möglicher Alternativen verbraucht. Statt dessen gab die natürliche Selektion derjenigen Merkmalskombination den Vorzug, die zur größ-ten Zahl von Nachkommen führte. Ingenieure müssen wie Evolutionsbiologen bei allen Veränderungen nach den damit verbundenen Vorteilen fragen und diese gegen die Kosten abwägen.
Eine offensichtliche Schwierigkeit bei der Übertragung dieser Argumentation auf unseren Lebenszyklus besteht darin, daß er viele Merkmale enthält, die unsere Fähigkeit zur Produktion von Nachwuchs scheinbar verringern, anstatt sie zu maximieren. Altern und Sterben sind hierfür nur ein Beispiel ; andere sind das weibliche Klimakterium, die Geburt von normalerweise nur einem Baby zur selben Zeit, nur höchstens etwa einmal im Jahr und das auch erst ab einem Alter von zwölf bis 17 Jahren. Müßte die natürliche Auslese nicht eigentlich eine Frau begünstigen, die im Alter von fünf in die Pubertät käme, nur drei Wochen schwanger wäre, regelmäßig Fünflinge zur Welt brächte, nie in die Wechseljahre käme, viel von ihrer biologischen Energie in die Selbstheilung des eigenen Körpers investierte, 200 Jahre alt würde und auf diese Weise Hunderte von Nachkommen hinterließe ?
Stellt man die Frage in dieser Form, tut man jedoch so, als könne die Evolution an unserem Körper einen Teil nach dem anderen verändern, und ignoriert die versteckten Kosten. Eine Frau könnte gewiß nicht die Dauer der Schwangerschaft auf drei Wochen reduzieren, ohne auch andere Dinge an sich selbst oder an ihrem Baby zu verändern. Bedenken Sie, daß uns nur eine begrenzte Energiemenge zur Verfügung steht. Selbst Menschen, die schwere körperliche Arbeit verrichten und sich reichhaltig ernähren – zum Beispiel Holzfäller oder Marathonläufer im Training – können täglich kaum mehr als 10 000 Kalorien umwandeln. Welche Aufteilung dieser Kalorien zwischen der Selbstheilung unseres eigenen Körpers und der Babyaufzucht wäre wohl am geeignetsten, wenn unser Ziel darin besteht, eine so große Zahl von Babys wie möglich aufzuziehen ?
Betrachten wir zunächst das eine Extrem, nämlich, daß wir alle Energie in unsere Babys und gar keine in die Selbstheilung stecken würden. Die Folge davon wäre, daß wir noch vor der Aufzucht unseres ersten Babys altern und sterben würden. Am anderen Extrem würden wir alle uns verfügbare Energie darein investieren, unseren Körper in Form zu halten. In diesem Fall könnten wir auf ein langes Leben hoffen, aber es bliebe uns keine Energie für die anstrengende Aufgabe, Babys in die Welt zu setzen und aufzuziehen. Die Aufgabe der natürlichen Selektion besteht im Ausbalancieren der relativen Energieausgaben für Selbstheilung einerseits und Fortpflanzung andererseits im Sinne einer Maximierung der durchschnittlichen Zahl von Nachkommen über die gesamte Lebensdauer. Die Lösung dieses Problems ist für jede Tierart verschieden und hängt von Faktoren wie dem Risiko des zufälligen Todes, der Fortpflanzungsbiologie und den Kosten der verschiedenen Reparaturarten ab.
Mit dieser Sichtweise lassen sich nachprüfbare Vorhersagen darüber treffen, welche Unterschiede zwischen verschiedenen Tierarten im Hinblick auf ihre Heilungsmechanismen und ihr Alterungstempo bestehen müß-ten. Der Evolutionsbiologe George Williams präsentierte 1957 verblüffende Erkenntnisse über das Altern, die nur vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie zu verstehen sind. Wir wollen einige von Williams’ Beispielen betrachten und sie in die physiologische Sprache der Selbstheilung übersetzen, indem wir langsames Altern als Zeichen für starke Selbstheilungskräfte interpretieren.
Im ersten Beispiel geht es um das Alter, in dem ein Tier erstmals Nachwuchs bekommt. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten sind beträchtlich : Nur wenige Menschen sind so frühreif, daß sie mit unter zwölf Jahren ein Kind bekommen, während hingegen jede Maus, die nur etwas auf sich hält, bereits mit zwei Monaten Junge in die Welt setzt. Tierarten, bei denen wie beim Menschen die erste Fortpflanzung relativ spät erfolgt, müssen der Selbstheilung viel Energie widmen, um sicherzustellen, daß sie bei Erreichen des fortpflanzungsfähigen Alters überhaupt noch am Leben sind.
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