Der dritte Zustand
gesprochen. Einen Moment, mein Lieber, Sie haben Ihre Mütze vergessen. Wo haben Sie die denn aufgegabelt? Ist das noch eine aus’m Holocaust?«
Fima sah im Vorbeigehen, daß etwas in seinem Briefkasten steckte, umrundete die aufgerollte Matratze, doch als er das Treppenhauslicht erreicht hatte und den Wohnungsschlüssel hervorzog, fiel ein säuberlich zusammengefalteter Zehnschekelschein zu Boden, mit dem er gleich schwerfällig loslief, um vielleicht noch den Taxifahrer zu erwischen, der ja am Straßenrand wenden mußte. Der Fahrer grinste im Dunkeln: »Was ist? Wo brennt’s? Haben Sie Angst, ich könnt’ womöglich morgen früh auswandern? Sollen die Aasheinis auswandern. Ich bleib’ bis zum Ende des Films, um zu sehen, wie’s hier ausgeht. Gute Nacht, mein Herr. Bloß nicht zu Herzen nehmen.«
Fima beschloß daraufhin, ihn in seine Regierung aufzunehmen. Zwi vom Informationsportefeuille zu entbinden und den Fahrer damit zu betrauen. Und vielleicht, weil der Mann die Worte »Ende des Films« benutzt hatte, fiel ihm plötzlich ein, daß Annette sicher jetzt zu Hause auf einen Anruf von ihm wartete. Wenn sie bloß nicht vor dem Kino stand. Und es nicht Nina war. Hatte er versprochen gehabt, Nina vom Büro abzuholen? War er womöglich fähig gewesen, sich aus Versehen mit beiden zu verabreden? Oder hatte er etwa was mit Tamar ausgemacht? Fima grauste es bei dem Gedanken, sich wieder mal in Ausflüchte und Lügen verstricken zu müssen. Er mußte unbedingt anrufen. Erklären. Das Knäuel behutsam auflösen. Sich bei Nina entschuldigen und sofort zum Treffen mit Annette starten. Oder umgekehrt.
Wenn sich aber herausstellen sollte, daß er doch nur mit einer von ihnen verabredet gewesen war? Und er nun anfing, sich am Telefon in Lügen zu winden, auf diese Weise immer mehr in die Klemme geriet und nur Hohn und Spott erntete? Oder wenn sie jetzt in diesem Augenblick beide wartend vorm Kinoeingang standen, ohne einander zu kennen, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, daß ein und derselbe Idiot sie beide enttäuscht hatte?
Also wirklich Schluß mit der Lügerei. Jetzt würde ein neues Kapitel beginnen. Von nun an würde er sein Leben offen und ehrlich mit Vernunft führen. Wie hatte der Fahrer gesagt? Ohne Gewissensbisse auf der Leber. Es gab keinen Grund auf der Welt, seine Geliebten voreinander zu verbergen. Wenn ich ihnen ein bißchen lieb bin – warum sollten sie dann einander nicht liebgewinnen? Gewiß werden sie sich sofort anfreunden und können sich gegenseitig aufmuntern. Sie haben eigentlich sehr viel gemeinsam: Beide sind mitfühlende Seelen mit einem guten, großzügigen Herzen. Beide haben Freude an meiner angeblichen Hilflosigkeit. Ein sonderbarer Zufall, wirklich eine Koinzidenz: Sowohl Annettes als auch Ninas Mann halten sich derzeit in Italien auf. Wer weiß, vielleicht sind sie sich dort begegnet? Womöglich sitzen sie jetzt beide, Jerry Tadmor und Uri Gefen, in einem lauten Trupp von Israelis und Fremden im selben Café in Rom und tauschen saftige Geschichten aus über Liebe und Verzweiflung. Oder sie diskutieren über die Zukunft des Nahen Osten, und Uri benutzt Argumente, die er von mir übernommen hat. Und mir hat die Ironie des Schicksals, die glattweg Stefan Zweig oder Somerset Maugham entstammen könnte, indessen aufgetragen, mich heute abend mit den beiden verlassenen Frauen zu treffen, zwischen denen sich Freundschaft und Seelenverwandtschaft zu entwickeln beginnen. Solidarität. Sogar ein gewisses Maß an Intimität. Denn beide sind auf mein Wohl bedacht.
Im Geist sah er sich im dunklen Kinosaal sitzen, Jean Gabins Auseinandersetzung mit einer brutalen Mörderbande wurde immer bedrohlicher, während er, Fima, mit der Linken Annette umarmte und die Finger der Rechten über Ninas schwellende Brust gleiten ließ. Als gebe er erfolgreich die Rolle Uri Gefens in einem Volksstück. Nach dem Film würde er sie beide in das kleine Restaurant hinterm Zionsplatz einladen. Würde sie leicht, brillant und gelassen mit niveauvollen erotischen Geschichten, sprühenden Gedanken, zündenden Einfällen, die alte Fragen neu beleuchteten, unterhalten. Wenn er sich dann kurz entschuldigte, um zur Toilette hinunterzugehen, würde ein fieberhaftes Getuschel zwischen den beiden Frauen einsetzen: Sie berieten sich über seinen Zustand. Verteilten Aufgaben und Dienstzeiten untereinander, stellten gewissermaßen eine Art Arbeitsplan für die Fima-Betreuungsabteilung auf.
Diese Phantasien taten ihm wohl wie
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