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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Körper durch sportliche Übungen stählen, man gebe ja sowieso ein Vermögen für die Hausgehilfin aus, zu deren Aufgaben das Einkaufen gehöre, und hier in Rechavia sei schließlich alles zu bekommen, so daß nicht einzusehen sei, warum man sich abschleppen und den Jungen zwischen den dreckigen Ständen und offenen Gossen herumzerren müsse. Die Levante strotze vor Mikroben, und all der scharfe Gewürzkram mit dem aufdringlichen Geruch sei nur eine Tarnung der Verunreinigung. Er witzelte über die Schwäche meiner Mutter für den Zauber von Tausendundeiner Nacht und über »die allwöchentliche Expedition auf den Spuren des Diebes von Bagdad«, wie er es nannte. Fima erschauerte beim Gedankenan die geheimbündlerische Freude, die er als Kind empfunden hatte, wenn er seiner Mutter helfen sollte, zwischen verschiedenen Sorten schwarzer Oliven zu wählen, deren Geruch fast frivol und deren Geschmack eindringlich und berauschend war. Gelegentlich fing er verschwommen die glühenden Blicke auf, mit denen einer der Händler seine Mutter fixierte, und obwohl er zu klein war, um die Bedeutung dieser Blicke zu begreifen, schnappte er doch schemenhaft, wie im Traum, das leichte innere Kribbeln auf, das seine Mutter überlief, dann gewissermaßen überquoll und sich auch auf seinen Rücken verzweigte. Aus weiter Ferne hörte er jetzt ihre Stimme – schau, was sie dir angetan haben, du Golem –, aber diesmal antwortete er ihr fröhlich: Macht nichts, du wirst sehen, daß ich hier noch nicht das letzte Wort gesprochen habe.
    Auf dem Heimweg von den Einkäufen auf dem Markt hatte er immer darauf bestanden, selber den Korb zu tragen. Und mit dem anderen Arm hängte er sich bei ihr ein. Freitag mittags aßen sie stets in einem kleinen vegetarischen Restaurant in der King-George-Straße, das ihm mit seinen roten Vorhängen so ausländisch wie im Kino vorkam. Dieses Lokal gehörte einem Flüchtlingspaar, Herrn und Frau Danzig, taktvollen, sympathischen Menschen, die einander so ähnlich sahen, als seien sie Bruder und Schwester. Eigentlich konnte man es ja auch nicht wissen, grübelte Fima, vielleicht waren sie wirklich Geschwister.
    Ihre feinen Manieren ließen jedesmal ein leuchtendes Lächeln über das Gesicht der Mutter gleiten, wie ein Lichtstrahl, der Fima noch jetzt mit Sehnsucht erfüllte, wenn er daran dachte. Am Ende der Mahlzeit legte Frau Danzig stets zwei exakte Riegel Nußschokolade vor Fima hin und sagte lachend mit ihrem jeckischen Akzent: »Das ist für das brave Kind, das nichts auf dem Teller gelassen hat.«
    Herr Danzig wiederum, ein rundlicher Mann mit einer wie rohes Fleisch im Metzgerladen glühenden Wange, bei der Fima nicht wußte, ob sie von einer chronischen Hautkrankheit, einem eigenartigen Geburtsfehler oder einem geheimnisvollen, flächigen Brandmal so gezeichnet war, ließ nach dem Freitagmittagessen unweigerlich, wie ein Ritual, seinen Standardvers auf Fima los:
    Mein lieber Sohn Efraim
    Hat aufgegessen bei uns daha-im
    Und ist nun ein Held in jedem Ra-im
    Wo, in welcher Stadt?
    Worauf Fima, gewissermaßen als sein Part in einem streng festgelegten Ritus, zu ergänzen hatte: »In Jeruschalaim!«
    Einmal hatte er jedoch widerspenstig aus Trotz geantwortet: »In Danzig!«, das er von seines Vaters Briefmarkensammlung und auch aus dem schweren deutschen Atlas kannte, zwischen dessen Seiten er, in der Wohnzimmerecke auf dem Teppich ausgestreckt, Stunden über Stunden wegtauchen und umherstreifen konnte, besonders an Winterabenden. Mit dieser Antwort veranlaßte er Herrn Danzig wehmütig verschämt zu lächeln und etwas auf deutsch zu murmeln, das mit den Worten »mein Kind« endete. Und die Augen seiner Mutter füllten sich aus irgendeinem Grund mit Tränen, während sie seinen Kopf plötzlich gewaltsam an sich zog und sein Gesicht über und über mit hastigen Küssen bedeckte.
    Was mochte aus den Danzigs geworden sein? Gewiß waren sie längst gestorben. Eine Bankfiliale arbeitete seit Jahren in den ehemaligen Räumen des kleinen Lokals, das immer so vor Sauberkeit geblitzt hatte, daß Fima noch jetzt, nach tausend Jahren, diesen reinlichen Geruch in der Nase spürte, der ihn irgendwie an den Duft frischen Schnees erinnerte. Auf jedem der blütenweiß gedeckten Tische stand stets ein Glasväschen mit einer einzigen steilen Rose. An den Wänden hingen ruhige Bilder von Seen- und Waldlandschaften. Und gelegentlich speiste allein an einem entfernten Tisch, im Winkel neben den Blumentöpfen, ein schlanker

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