Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
Vom Netzwerk:
denn nun schon wieder los, Fima?«
    »Nichts, bloß daß es mir auf den Kopf regnet«, stammelte Fima verwirrt, da er nicht begriff, was Ted bei Nina Gefen wollte. Bis er mit einiger Verspätung kapierte, daß er vor lauter Zerstreutheit versehentlich Jael statt Nina angerufen hatte. Und warum hatte er was von strömendem Regen faseln müssen? Es fiel doch kein einziger Tropfen. Schließlich faßte er sich und fragte Ted, wie es Dimmi gehe und wie der Zubau des Balkons vorankomme. Ted Tobias erinnerte ihn daran, daß der Balkon schon zu Winteranfang zugebaut worden war. Und Jael sei mit Dimmi zu einer Kindervorstellung im Theater; sie würden wohl gegen zehn Uhr zurückkommen. Ob er was ausrichten solle? Fima beugte sich über seine Uhr, riet, daß es noch keine acht war, und plötzlich, ohne daß er es beabsichtigt hätte, fragte er Ted, ob er ihn mal überrumpeln dürfe, überrumpeln in Anführungszeichen natürlich, er würde sich in einer bestimmten Angelegenheit gern mal mit ihm beraten. Worauf er ihm rasch versicherte, daß er bereits zu Abend gegessen habe und keinesfalls mehr als eine viertel oder halbe Stunde rauben werde.
    »Okay, geht in Ordnung«, sagte Ted. »Komm rauf. Bloß denk dran, daß wir heute abend ein bißchen beschäftigt sind.«
    Fima begriff den Wink, daß er besser nicht kommen oder wenigstens nicht wie üblich bis nach Mitternacht bleiben solle. War auch nicht etwabeleidigt, sondern bot sogar großzügig an, ein andermal reinzuschauen. Aber Ted beharrte höflich energisch: »Ein halbes Stündchen geht schon.«
    Fima freute sich besonders, daß es nicht regnete, weil er keinen Schirm dabei hatte und bei seiner Geliebten nicht pudelnaß ankommen wollte. Dabei merkte er jedoch, daß es immer kälter wurde, und gelangte zu dem Schluß, es bestehe Aussicht auf Schnee, was seine Freude noch erhöhte. Unterwegs, in der Gegend des Machane-Jehuda-Markts, sah er durch das Busfenster im Licht einer Straßenlaterne ein schwarzes Graffito: Aravim – hachuza! , das er im Geist sofort ins Deutsche übersetzte – Araber raus. Nun brauchte er nur noch »Araber« durch »Juden« zu ersetzen, um in wütende Erregung zu geraten. Augenblicklich ernannte er sich selbst zum Staatspräsidenten und beschloß einen dramatischen Schritt: Am Jahrestag des Blutbads in dem arabischen Dorf Dir Jassin würde er dem Ort einen offiziellen Besuch abstatten und zwischen den Ruinen einfache, eindringliche Worte des Inhalts sagen, daß wir israelischen Juden auch ohne Erörterung der Frage, welche Seite mehr Schuld trägt, das tiefe Leid, das den palästinensischen Arabern nun seit rund vierzig Jahren widerfährt, verstehen und zur Beendigung dieses Leids alles Vernünftige zu tun bereit sind, außer uns selbst aus der Welt zu schaffen. Eine solche Ansprache würde sofort in jeder arabischen Hütte Widerhall finden, die Phantasie anregen und womöglich ein emotionales Momentum auslösen. Einen Augenblick schwankte Fima zwischen emotionalem Momentum und emotionalem Durchbruch – welche Bezeichnung würde sich wohl besser als Überschrift für einen kleinen Artikel eignen, den er am nächsten Morgen für die Freitagszeitung zu schreiben gedachte? Schließlich verwarf er alle beide und schlug sich den Aufsatz aus dem Kopf.
    Im Fahrstuhl unterwegs zum sechsten Stock des Wohnhauses in Bet-Hakerem beschloß er, diesmal gemäßigt, herzlich und gelassen aufzutreten und sich alle Mühe zu geben, mit Ted wie mit seinesgleichen zu reden, sogar in politischen Dingen, obwohl dieser ihn meist schon nach wenigen Minuten durch seine Sprechweise nervös machte – einen langsamen, wohlabgewogenen Tonfall mit wüstem amerikanischen Akzent und trockener Vernunft, unter unaufhörlichem Gefummel an den Knöpfen der hübschen Strickjacke. Wie ein offizieller Sprecher des State Department.
    Zwei, drei Minuten stand Fima vor der Tür, ohne an die Klingel zu fassen, und scharrte mit den Sohlen auf der Fußmatte, um nur ja keinen Dreck hineinzutragen. Doch mitten in diesem Gekicke ohne Ball gingdie Tür vor ihm auf, und Ted half ihm, sich aus der Jacke zu befreien, die wegen eines Risses im Ärmelfutter zur Falle geworden war.
    »Grauenhaftes Wetter«, sagte Fima.
    Ted fragte, ob es schon wieder regne.
    Obwohl der Regen längst, noch bevor Fima aus der Praxis weggegangen war, aufgehört hatte, erwiderte er voll Pathos: »Was heißt Regen! Eine Sintflut!«
    Ohne eine Aufforderung abzuwarten, stürmte er – unter Hinterlassung feuchter

Weitere Kostenlose Bücher