Der dritte Zustand
Schuhabdrücke im Korridor – schnurstracks auf Teds Arbeitszimmer zu, schlug sich zwischen Bücherstapeln, Tabellen, Skizzen und Computerausdrucken auf dem Teppich durch, bis sein weiteres Vordringen an der Front des breiten Schreibtisches scheiterte, auf dem Teds Textverarbeitungsgerät stand, und lugte unerlaubterweise auf das geheimnisvolle Diagramm, das da in Grün und Schwarz auf dem Bildschirm flimmerte. Während er sich noch über seine eigene Unkenntnis in Computerdingen lustig machte, begann er zuvorkommend, als sei er der Gastgeber, auf Ted einzureden: »Setz dich, Teddy, nimm Platz, mach’s dir gemütlich.« Wobei er selbst ohne Zögern den Arbeitsstuhl vor dem Computerbildschirm besetzte.
Ted fragte, was er einschenken dürfe.
»Egal«, meinte Fima. »Ein Glas Wasser. Schade um die Zeit. Oder Cognac. Oder vielleicht lieber was Heißes. Völlig gleichgültig. Ich bin ja sowieso nur auf ein paar Minuten hier.«
In breitgedehntem Tonfall mit der Trockenheit eines Telefonvermittlers und ohne Fragezeichen am Satzende entschied Ted Tobias: »Gut. Ich geb’ dir Brandy. Und du bist absolut sicher, daß du Abendbrot gegessen hast.«
Fima hatte plötzlich Lust, zu lügen und zu sagen, nein, er sterbe vor Hunger. Hielt sich aber lieber zurück.
Ted, im Schaukelstuhl, hüllte sich in Schweigen und Pfeifenrauch. Ohne sein Zutun genoß Fima den Duft des erlesenen Tabaks. Und entdeckte, daß Ted ihn seelenruhig mit zurückhaltender anthropologischer Neugier musterte. Der hätte wohl auch weder gestaunt noch mit der Wimper gezuckt, wenn sein Gast plötzlich ein Lied angestimmt hätte. Oder in Tränen ausgebrochen wäre. Fima indes entschied nach einiger Überlegung, keins von beiden zu tun, und begann statt dessen: »Jael ist also nicht zu Hause und Dimmi auch nicht. Ich hab’ vergessen, ihm Schokolade mitzubringen.«
»Richtig«, sagte Ted, wobei er ein Gähnen unterdrückte. Und paffte ein neues Wölkchen bläulichen Wohlgeruchs aus seiner Pfeife. Fima heftete den Blick auf einen Stapel Computerskizzen, blätterte ein wenig darin herum, als gehörten sie ihm, und verglich mit besonderer Sorgfalt Blatt sechs und neun, als sei in eben diesem Moment der Entschluß bei ihm gereift, sich augenblicklich selbst in Flugzeugtechnik fortzubilden.
»Was plant ihr uns denn hier so? Ein Raumschiff, das Plastikgeschosse abfeuert? Oder eine fliegende Kiesschleuder?«
»Das ist unser Paper für eine britische Zeitschrift. Vorerst noch was sehr Experimentelles: Düsenantrieb für Kraftfahrzeuge. Wie du vielleicht weißt, arbeiten Jael und ich seit Jahren daran. Du hast schon ein paarmal gebeten, wir sollten’s dir vielleicht ein wenig erklären, und zwei Minuten später wolltest du dann liebend gern, daß wir aufhören. Aber dieses Paper bin ich committed , bis Ende der Woche fertigzuschreiben. Das ist die deadline. Vielleicht bringst du mir wirklich mal bei, was committed und deadline auf hebräisch heißt? Du weißt es doch sicher? Als Dichter? Nein?«
Fima strengte sein Gehirn an und wäre beinah auf die gewünschten hebräischen Entsprechungen gekommen. Beide standen gewissermaßen grinsend auf der Gedächtnisschwelle, entschlüpften ihm aber wie freche Katzenjunge, wenn seine Finger sie schon fast berührten. Dann fielen sie ihm wieder ein, doch als er den Mund zur Antwort öffnete, glitten sie ihm unter der Zunge erneut ins Dunkel. »Vielleicht helf ich dir ein bißchen?« schlug er in seiner Verlegenheit vor.
»Danke, Fima«, sagte Ted. »Ich glaube, das ist nicht nötig. Aber sicher wartest du bequemer im living room , bis die beiden zurück sind? Da könntest du dir die Nachrichten anschauen?«
»Gib mir Dimmis Legokasten«, sagte Fima, »ich werd’ ihm inzwischen den Davidsturm nachbauen. Oder das Rachelsgrab. Oder sonstwas. Dann störe ich dich nicht bei der Arbeit.«
»Kein Problem«, meinte Ted.
»Was heißt, kein Problem! Ich bin doch gekommen, um mit dir zu reden!«
»Dann bitte sehr, red«, sagte Ted. »Ist was passiert?«
»Also folgendermaßen«, begann Fima, ohne die leiseste Ahnung, wie er fortfahren wollte, und hörte sich zu seiner Verblüffung sagen: »Du weißt, daß die Lage in den Gebieten unerträglich ist.«
»Wenigstens sieht’s so aus«, sagte Ted ruhig, und im selben Augenblickstand Fima fast greifbar das verblüffende, aber lebendige, scharfe Bild vor Augen, wie dieses graue Maultier, dessen Brauen zwei gekräuselten Schnauzbärten ähnelten, mit seinen schweren Schultern Jaels
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