Der dritte Zustand
erklären.«
»Warum schauen Sie mich nicht an?«
»Ich hatte nicht ..., wollte keine Verlegenheit aufkommen lassen. Da, das Wasser kocht. Darf ich einschenken? Kaffee?«
»Verlegenheit Ihrerseits? Oder meinerseits?«
»Läßt sich schwer exakt beantworten. Vielleicht sowohl als auch. Weiß nicht.«
»Haben Sie zufällig einen Namen?«
»Ich heiße Fima. Efraim.«
»Ich heiße Annette. Und Sie sind verheiratet?«
»War ich mal, Frau Tadmor. Zweimal sogar. Beinah dreimal.«
»Und ich stecke in der Ehescheidung. Richtiger gesagt, bin ich der leidende Teil. Schämen Sie sich, mich anzuschauen? Angst vor Enttäuschung? Oder wollen Sie bloß sichergehen, daß Sie nicht eines Tages mitten auf der Straße überlegen müssen, ob Sie mich nun grüßen sollen oder nicht?«
»Mit Zucker und Milch, Frau Tadmor? Annette?«
»Sie würden sich gut zum Frauenarzt eignen. Mehr als dieser komische Alte, der mir unten den Finger in der Plastikhülle reinschiebt und mich oben mit einem Witz über Kaiser Franz-Josef, der den lieben Gott bestraft, ablenken will. Darf ich das Telefon benutzen?«
»Selbstverständlich. Bitte schön. Ich bin derweil drinnen, im Karteiraum. Wenn Sie fertig sind, rufen Sie mich, damit wir einen neuen Termin vereinbaren. Brauchen Sie einen neuen Termin?«
»Fima, Efraim. Bitte. Schaun Sie mich an. Nur keine Angst. Ich werde Sie nicht verzaubern. Früher, als ich noch schön war, sind mir die Männerherzen wie Fliegen zugeschwirrt, und jetzt will mich nicht mal der Arzthelfer mehr angucken.«
Fima hob den Blick. Und schreckte sofort zurück, weil die Qualen und der Sarkasmus, die er in ihren Zügen las, momentane Begierde aufflackern ließen. Er senkte die Augen wieder auf seine Papiere und sagte behutsam: »Aber Sie sind immer noch eine sehr schöne Frau. Jedenfalls in meinen Augen. Hatten Sie nicht telefonieren wollen?«
»Nicht mehr. Hab’s mir anders überlegt. Sehr viele Dinge bereue ich jetzt. Bin ich nicht häßlich?«
»Im Gegenteil.«
»Auch Sie sind nicht gerade der Hübscheste. Schade, daß Sie aufgegossen haben. Ich hatte überhaupt nicht trinken wollen. Macht nichts. Trinken Sie halt. Und vielen Dank.«
Beim Hinausgehen, an der Tür, sagte sie noch: »Sie haben meine Telefonnummer. Sie steht bei Ihnen in der Kartei.«
Fima grübelte ein wenig darüber nach. Die Worte »ein neues Kapitel« schienen ihm fast billig, und doch wußte er, daß er sich zu anderen Zeiten vielleicht in diese Annette hätte verlieben können. Aber warum zu anderen Zeiten? Zum Schluß sagte er sich in Jaels alten Worten: »Dein Problem, mein Lieber.«
Damit schob er die Papiere in die Schublade, schloß das Karteizimmer ab und ging die Tassen spülen, da bald zugemacht wurde.
5.
Fima wird bei Dunkelheit im strömenden Regen völlig durchnäßt
Nach Praxisschluß fuhr er mit dem Bus zum Stadtzentrum und suchte sich ein billiges Restaurant in einer Gasse nicht weit vom Zionsplatz, wo er Salat und Pizza mit Pilzen aß, Coca-Cola trank und eine Tablette gegen Sodbrennen lutschte. Da er nicht genug Bargeld in der Tasche hatte, wollte er mit Scheck bezahlen, den man von ihm allerdings nicht annahm. Daraufhin schlug Fima vor, seinen Personalausweis im Lokal zu hinterlegen und am nächsten Morgen wiederzukommen, um die Schuld zu begleichen. Doch in keiner Jacken-, Hemden- oder Hosentasche war der Ausweiszu finden: Gestern oder am letzten Wochenende hatte er einen elektrischen Wasserkessel anstelle des ausgebrannten gekauft, mangels ausreichender Barschaft den Personalausweis im Elektrogeschäft hinterlegt und ihn dann auszulösen vergessen. Oder war es in der Buchhandlung Steimatzky gewesen? Zu guter Letzt, schon halb verzweifelt, fischte er aus der Gesäßtasche einen zerknautschten Fünfzigschekelschein, den ihm sein Vater wohl vor zwei, drei Wäschen dort hineingestopft haben mußte. Bei der Suchaktion war auch noch eine Telefonmünze zum Vorschein gekommen, mit der Fima nun die Fernsprechzelle vor dem Sensor-Gebäude auf dem Zionsplatz ansteuerte und Nina Gefen anrief: Er erinnerte sich verschwommen, daß ihr Ehemann Uri nach Rom gefahren war. Vielleicht ließ sie sich ja überreden, ins Orion-Kino mitzugehen und die französische Komödie mit Jean Gabin anzusehen, von der Tamar ihm in der Kaffeepause erzählt hatte. An den Namen des Films konnte er sich nicht mehr erinnern. Aber am anderen Ende der Leitung ertönte Ted Tobias hölzerne, stark amerikanisch gefärbte Stimme mit der trockenen Frage: »Was ist
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