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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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darum gebeten, etwas von dir zu hören. Gebeten, daß du mir von dem einsamen Jungen erzählst, von dem ihr der ganzen Welt stur vormachen wollt, er stamme vom Samen dieses amerikanischen Holzklotzes. Ich habe dich gebeten, ein bißchen Ordnung in dein Leben zu bringen. Daß du endlich ein vernünftiger Mensch wirst. Daß du dich ein wenig um deine Zukunft kümmerst, statt dir Tag und Nacht um das Wohlergehen der lieben Araber Sorgen zu machen.«
    »Ich sorge mich nicht um die Araber«, berichtigte Fima. »Das habe ich dir schon tausendmal erklärt. Ich sorge mich um uns.«
    »Gewiß, Efraim, gewiß. Keiner bestreitet die Reinheit eurer Absichten. Die Sache ist nur die, daß ihr einzig und allein euch selber täuscht: Angeblich bitten deine Araber nur höflich, Sichem und Hebron zurückzubekommen, und schon gehen sie fröhlich und guter Dinge nach Hause – und damit Frieden über Israel und über Ismael. Aber nicht das wollen sie von uns. Jerusalem wollen sie haben, Fimotschka, Jaffa, Haifa, Ramle. Uns ein bißchen abschlachten – das ist alles, was sie wollen. Uns als Volk ausrotten. Wenn ihr euch bloß die Mühe machen würdet, ein wenig zuzuhören, was sie untereinander reden. Aber ihr hört ja dauernd nur euch selber, noch und noch.« Wieder entfuhr der Brust des Vaters ein leiser, gedehnter Pfeifton, als wundere er sich über die Naivität seines Sohnes.
    »Sie sagen in letzter Zeit nun gerade etwas andere Dinge, Vater.«
    »Sagen sie. Schön, daß sie das sagen. Sollen sie doch nach Herzenslust Süßholz raspeln. Mit Worten ist das leicht getan. Die haben von euch einfach liebliche Rede und Honigseim gelernt. Laufen hocherhobenen Hauptes herum. Was sie sagen, ist unwichtig. Wichtig ist, was sie wirklich wollen. Wie dieser Hamiter, Ben Gurion, von den Juden und den Gojim gesagt hat.« Offenbar hätte der Vater diese Dinge gern noch ausgeführtund begründet, aber der Atem wurde ihm kurz, kam pfeifend und endete in Husten. Als gäbe es in seinem Innern eine lose Tür, die der Wind in ungeölten Angeln hin- und herschlug.
    »Sie möchten jetzt einen Kompromiß eingehen, Baruch. Nun sind wir der sture Teil, der nicht nachgeben, ja nicht einmal mit ihnen reden will.«
    »Kompromiß. Sicher. Schön hast du das gesagt. Ein Kompromiß ist was außerordentlich Gutes. Das ganze Leben besteht aus Kompromissen. Dazu gibt es eine wunderbare Geschichte, die man über Rabbi Mendel von Kotsk erzählt. Aber mit wem möchtest du denn zu einem Kompromiß gelangen? Mit denen, die uns nach dem Leben trachten und nur darauf aus sind, uns zu vernichten und auszurotten? Du bestellst mir ein Taxi, damit ich nicht zu spät komme, und bis der Wagen da ist, erzähle ich dir ein Erlebnis von Jabotinsky 8 , als er einmal mit dem antisemitischen Innenminister des zaristischen Rußlands, Plehwe, zusammengetroffen ist. Und weißt du, was Jabotinsky ihm gesagt hat?«
    »Aber das war Herzl, Vater. Herzl und nicht Jabotinsky.«
    »Du, mein Schlaukopf, solltest Herzls und Jabotinskys Namen lieber nicht mißbrauchen. Leg deine Schuhe ab, da du dich auf heiliges Terrain begibst. Die drehen sich doch jedesmal im Grabe um, wenn ihr den Mund aufmacht und auf den gesamten Zionismus pfeift.«
    Urplötzlich kochte Fima vor Wut, vergaß ganz und gar sein Gelöbnis der Zurückhaltung, unterdrückte nur mühsam den finsteren Drang, den Vater an seinem Ziegenbart zu packen oder das noch unberührte Teeglas zu zerschmettern, und brüllte verwundet los: »Du bist blind und taub, Baruch. Mach doch endlich die Augen auf. Wir sind jetzt die Kosaken, und sie, die Araber, sind täglich, stündlich die Pogromopfer.«
    »Die Kosaken«, wiederholte der Vater mit amüsiertem Gleichmut, »nun? Und wennschon? Warum sollten wir nicht endlich einmal zur Abwechslung Kosaken sein? Wo steht denn geschrieben, daß Jude und Goj nicht mal kurz die Rollen tauschen dürfen? Einmal in tausend Jahren oder so? Wärst du, mein Lieber, bloß selber mal ein bißchen Kosak und nicht soein ewiger Schlimasel. Dein Filius ist genau wie du: ein Schaf im Schafspelz.«
    Und weil er den Anfang der Unterhaltung inzwischen vergessen hatte, setzte er Fima, der vor Wut ein Streichhölzchen nach dem anderen zerbrach, erneut den Unterschied zwischen einem Schlemihl und einem Schlimasel auseinander und sinnierte laut, daß die beiden vielleicht ein unsterbliches Paar bildeten, das Hand in Hand auf der Welt herumwanderte. Danach erinnerte er Fima daran, daß die Araber vierzig riesige Staaten von

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