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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Denkanstöße zu liefern vermochte, wenn sie an einem Wintermorgen des Jahres 2089 an diesem Fenster standen? In hundert Jahren wäre der Düsenantrieb zu Lande sicher eine verbreitete, selbstverständliche Angelegenheit, so daß die Menschen,die hier wohnen würden, keinen besonderen Grund hätten, sich an Jael und Teddy zu erinnern, ebensowenig wie an Nina und Uri samt ihrem Kreis oder an Tamar und die beiden Ärzte. Sogar Zwi Kropotkins historische Studien wären bis dahin gewiß überholt. Höchstens bliebe noch eine Randbemerkung in einem veralteten Band von ihnen übrig. Albern, nichtig, verächtlich erschien ihm sein Neid auf Zwi. Dieser Neid, den er sogar vor sich selber hartnäckig leugnete. Der Neid, dessen insgeheimes Nagen er mit endlosen Wortgefechten übertönte. Indem er Zwicka am Telefon zu fassen kriegte, ihn unvermittelt nach dem Exilkönig von Albanien fragte und sie beide in eine erregte Debatte über den albanischen Islam oder die Geschichte des Balkans verwickelte. Im Abschlußexamen hatte er immerhin etwas besser abgeschnitten als sein Freund. Und er war auch auf ein paar blendende Gedanken gekommen, die Zwi aufgegriffen, sich aber trotz aller Proteste starrsinnig nicht bereit erklärt hatte, sie in einer Fußnote dankend als seine, Fimas, zu vermerken. Wenn nur diese Müdigkeit weichen wollte, hätte er noch die Kraft loszulegen, den Rückstand des Geißbockjahrs aufzuholen, diesen mittelmäßigen, verwöhnten Professor, der sich in Sportsackos hüllte und graue Binsenwahrheiten näselte, in zwei, drei Jahren zu überrunden. Keinen Stein von Kropotkins Gebäuden würde er auf dem andern lassen. Würde alles in wütendem Sturm erschüttern und davonfegen. Ein wahres Erdbeben auslösen und neue Fundamente legen. Aber wozu? Allerhöchstens würde irgendein Student Ende des nächsten Jahrhunderts so nebenbei in Klammern den veralteten Ansatz der Nissan-Kropotkinschen Schule erwähnen, die Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in Jerusalem zu kurzer Blüte gelangte – am Ausgang der sozioempirischen Epoche, die unter Sentimentalität litt und sich primitiver Mittel bediente. Nicht einmal zwischen ihnen beiden unterscheiden würde er. Sie einfach mit einem Bindestrich zusammenfassen, ehe er die Klammer nach ihnen schloß.
    Jener Student, der in hundert Jahren dieses Zimmer hier bewohnen würde, trug in Fimas Gedanken plötzlich den Namen Joeser. Fast greifbar sah er ihn am selben Fenster stehen und auf dieselben Berge schauen. Und er sagte zu ihm: Spotte du mal nicht. Dank unserer bist du hier. Einmal hatte die Stadt Ramat Gan eine feierliche Baumpflanzung am Neujahrsfest der Bäume veranstaltet. Der erste, schon alte Bürgermeister, Abraham Krenizi, stand vor tausend Kleinen aus allen Kindergärten, jedes Kind mit einem Setzling in der Hand. Auch der Bürgermeister hielt ein jungesBäumchen. Er hatte die Aufgabe, den Kindern eine Rede zu halten, wußte aber nicht, was er sagen sollte. Plötzlich entrang sich ihm aus tiefstem Herzen eine Ansprache von einem – stark russisch gefärbten – Satz: »Liebste Kinderlein, ihr seid die Bäume, und wir sind der Dünger.« Hatte es nicht Sinn, diesen Satz hier in die Wand zu ritzen, wie ein Häftling in die Zellenwand, damit es dieser hochmütige Joeser lesen konnte? Damit er an uns denken mußte? Aber bis dahin würde man doch Putz und Farbe und womöglich die Wände selbst erneuern. In hundert Jahren würde das Leben wacher, intensiver, vernünftiger und freudvoller sein. Die Kriege mit den Arabern würde man achselzuckend als einen absurden Reigen wirrer Stammesfehden abtun. Wie die Geschichte des Balkans. Joeser würde sicher nicht seine Vormittage mit der Jagd auf Kakerlaken und seine Abende in schmuddeligen Lokalen hinterm Zionsplatz vergeuden. Der dann gewiß völlig abgerissen und in schwungvoll optimistischem Stil neu aufgebaut war. An Stelle von in schmierigem Öl gebratenen Eiern, an Stelle von Marmelade und Joghurt schluckte man dann vermutlich alle paar Stunden zwei, drei Kapseln und hatte damit die Nahrungsaufnahme erledigt. Es würde weder verdreckte Küchen noch Kakerlaken oder Ameisen mehr geben. Die Menschen würden sich den ganzen Tag mit nützlichen, faszinierenden Dingen beschäftigen, die Abendstunden der Wissenschaft und der Schönheit widmen, ihr Leben im Licht der Vernunft führen, und falls irgendwo Liebe erwachte, wäre es wohl möglich, von fern einen schwachen elektromagnetischen Impuls auszutauschen, um vorzufühlen, ob sich der

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