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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Doch fast sofort sagte er sich: Was bist du für ein Schuft. Unwillkürlich begann seine Hand langsam sein Glied zu trösten. Aber ein Fremder, ein gemäßigter, vernünftiger Mann, dessen Eltern noch nicht einmal geboren waren, der Mensch, der in einer Winternacht in hundert Jahren hier in diesem Zimmer sein würde, beobachtete ihn aus dem Dunkeln mit Augen, die Fima skeptisch, nur mäßig neugierig und fast amüsiert vorkamen. Fima ließ von seinem Glied ab und forderte in lautem, mürrischem Ton: »Erlaub du dir mal kein Urteil über mich.« Und fügte rechthaberisch hinzu: »In hundert Jahren steht hier sowieso nichts mehr. Alles zerstört.« Und weiter: »Sei still. Wer hat denn mit dir gesprochen.«
    Damit verstummten sie beide, Joeser und er selber, und auch seine Leidenschaft hatte sich beruhigt. An ihre Stelle trat ein Anfall nächtlicher Energie – geschliffen scharfe Wachheit, eine Woge innerer Kräfte, verbunden mit klarem Verstand: In diesem Augenblick wäre er fähig gewesen, sich mit den drei Verschwörern im Café Savion zu messen und sie im Handumdrehen zu besiegen, oder ein Gedicht zu schreiben, eine Partei zu gründen, die Friedensverträge abzufassen – in seinem Kopf rumorten Worte und Satzfetzen, die in ihrer Unangreifbarkeit und Präzision deutlich vor ihm standen. Er warf die Decke ab, spurtete an den Schreibtisch, berief aber nicht den Revolutionsrat zu einer nächtlichen Sitzung ein, sondern verfaßte innerhalb einer halben Stunde in einem Schwung, ohne jede Streichung oder Änderung, einen Artikel für die Freitagszeitung: eine Antwort auf Zwi Kropotkin hinsichtlich des Preises der Moral und des Preises der Ignorierung der Moral in einer Zeit tagtäglicher Gewalt. Alle möglichen Wölfe und Wolfsfell Tragende reden hier einem primitiven Darwinismus das Wort, schreien, in Kriegszeiten müsse die Moral, ebenso wieFrauen und Kinder, zu Hause bleiben, und sobald wir das Joch der Moral abschüttelten, könnten wir leicht und fröhlich losziehen und jeden erledigen, der sich uns in den Weg stellt. Zwi verstrickt sich in den Versuch, diese Auffassung mit praktischen Argumenten zu widerlegen: die sogenannte aufgeklärte Welt werde uns bestrafen, wenn wir uns weiterhin wie Wölfe benehmen. Aber tatsächlich sind doch letzten Endes alle Gewaltregime zusammengebrochen und verschwunden, während gerade diejenigen Völker und Gesellschaftssysteme überdauerten, die die Werte der menschlichen Moral hochhielten. In historischer Sicht, schrieb Fima, gilt der Satz: Mehr als du die Moral schützt, schützt die Moral dich, und ohne sie sind auch die grausamen, skrupellosen Wolfsklauen dem Verderben und der Fäulnis anheimgegeben.
    Danach zog er ein frisches Hemd und saubere Hosen an, hüllte sich in den von Jael geerbten Zottelbärpullover, schlüpfte in seine Jacke, wobei er diesmal geschickt der Ärmelfalle auswich, zerkaute eine Tablette gegen Sodbrennen und sprang – vor freudigem Verantwortungsbewußtsein sprühend – die Treppe immer zwei Stufen auf einmal hinunter.
    Leichtfüßig, elastisch, hellwach, gleichgültig gegenüber der nächtlichen Kühle und von der Stille und Öde trunken, schritt Fima nun die Straße hinab, als spiele man ihm ein Marschlied auf. Es gab keine Menschenseele auf den feuchten Straßen. Jerusalem war in seine Hände gegeben, damit er die Stadt vor sich selber schütze. Die Häuserreihen des Viertels ragten schwer und plump in die Dunkelheit. Nur die Laternen hatten sich in fahlgelben Dunst gehüllt. In den Treppenhauseingängen schimmerten die Hausnummern in schwachem elektrischen Licht, dem es hier und da gelang, sich in der Scheibe eines parkenden Wagens widerzuspiegeln. Ein automatisches Leben, dachte er, geprägt von Bequemlichkeit und Leistung, Besitzerwerb, den alltäglichen Eß-, Finanz- und Beischlafgewohnheiten gesetzter Menschen, dem Versinken der Seele in den Speckfalten, den Ritualen des sozialen Prestiges – das hat der Psalmist gemeint, als er sagte: Abgestumpft und satt ist ihr Herz. Es ist das satte Herz, das nichts mit dem Tod im Sinn hat und allein danach strebt, satt zu bleiben. Hier liegt Annettes und Jerrys Unglück verborgen. Der eingeklemmte Geist ist es, der Jahre über Jahre vergeblich pocht, aufleblose Gegenstände klopft, darum fleht, die Tür zu öffnen, nachdem sie verschlossen worden ist. Und er pfeift auch verächtlich durch die Lücke zwischen zwei Vorderzähnen. Schnee von gestern. Grippe vom letzten Jahr. Gerippe vom letzten Jahr. Und was

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