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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Identifizierung eines berühmten finnischen Feldmarschalls
    Eines Freitag abends amüsierte Fima, gut gelaunt, die ganze Clique mit seinem Bericht, wie man ihn im Sechstagekrieg zum Reservedienst eingezogen, ihn gemeinsam mit einem Maler und zwei Professoren auf einen leeren Hügel beim Stadtteil Arnona verlegt und ihnen einen Feldstecher und ein Feldtelefon in die Hand gedrückt hatte mit dem Befehl, ja nicht einzuschlafen. Auf dem nächsten Hügel stellten jordanische Soldaten etliche Granatwerfer und ein Maschinengewehr auf, liefen dort in aller Ruhe herum wie Pfadfinder, die einen gemütlichen Lagerfeuertreff vorbereiten. Und als sie mit allem fertig waren, legten sie sich hin und eröffneten auf Fima und seine Kameraden das Feuer. Nun ratet mal, was mein erster Impuls gewesen ist, sagte Fima. Nein. Eben nicht abhauen. Auch nicht das Feuer erwidern. Einfach die Polizei anrufen und mich beschweren, daß es hier ein paar Irrsinnige gibt – sehen uns doch haargenau und schießen trotzdem rüber, als sei unser Hügel leer. Was, bin ich etwa ein Freund von denen? Ein Bekannter? Hab’ ich deren Frau verführt? Was wissen die denn überhaupt über mich? Man muß die Polizei alarmieren, damit sie sich schnell um die da kümmert. So habe ich in diesem Augenblick empfunden.
    Im Ha’arez stand eine Glosse, die Fima auf eine leichte Mäßigung inder Regierungshaltung schließen ließ. Eine Art Signal der Bereitschaft, wenigstens einen Punkt der offiziellen Linie zu überdenken. Damit fand Fima seine Theorie der kleinen Schritte bestätigt. Er berief daher den Revolutionsrat zu einer kurzen Morgenversammlung in Zwickas Seminarraum auf dem Skopusberg-Campus ein. Verkündete, daß er seine Auffassung geändert und den Flug nach Tunis aufgeschoben habe. Es komme diesmal darauf an, den Friedensprozeß nicht mit einem Trommelwirbel im Stil Sadats und Begins zu eröffnen, sondern mit kleinen Gesten, die vielleicht geeignet seien, die Mauern des Hasses und des Zorns nach und nach abzubauen. Man müsse erst mit emotionalen Vibrationen eine Entspannung herbeiführen. Joycesche Schwingungen, nicht Shakespeareschen Schwung. Tropismen, nicht Kataklysmen. Der Vorschlag auf der Tagesordnung laute folgendermaßen: Die PLO erklärt sich bereit, in aller Offenheit an Rettungsaktionen für die Überlebenden der äthiopischen – oder der jemenitischen – Judenheit mitzuwirken. Wir senden eine Dankesnote an ihr Hauptquartier in Tunis und brechen damit das Tabu. Zwi irrt, wenn er auf amerikanischen Druck setzt. Und sicher irrt Uri Gefen, der meint, die Lage müsse erst noch viel schlimmer werden, ehe eine Wendung zum Guten eintreten könne. Beide Auffassungen sind Ausdruck der insgeheimen Neigung linker Tauben, seufzend auf eine Änderung der realen Gegebenheiten zu warten, statt aktiv einzugreifen. Und sei es auch nur in begrenztem Umfang.
    Und so erfüllte ihn plötzlich sehnsüchtiges Verlangen nach Uris Nähe. Nach seinen breiten Schultern, seinen Späßen, seinem warmen, tiefen Lachen, seinem Jugendleitergehabe, seiner bäuerlichen Angewohnheit, einen fest um die Schultern zu fassen, in den Bauch zu boxen und etwa zu sagen: »Komm her, du Salman Rushdie, wo versteckst du dich denn?« Und nach flüchtigem Schnuppern und demonstrativem Naserümpfen: »Wie lange hast du das Hemd nicht mehr gewechselt? Seit Ben Gurions Beerdigung?« Oder auch: »Na gut. Also los. Wenn es keine andere Wahl gibt, dann halt uns eben einen kleinen Vortrag über asketische Sekten im Christentum, aber nimm dir vorher wenigstens ein bißchen von diesem Räucherschinken. Oder bist du vielleicht inzwischen schon Moslem geworden?«
    Vor Sehnsucht nach Uris warmer Stimme und seiner Körperwärme bekam er auch Lust, jetzt sofort seine eigenen blassen Finger auf die Riesenhand des Freundes – knorrig und sommersprossig wie die eines Steinbrucharbeiters – zu legen und scharfe Funken zu versprühen, die demganzen Diskussionsverlauf augenblicklich eine verblüffende Wendung geben würden. Wie vor drei Wochen bei den Kropotkins, als Schula Angst vor der Welle islamischen Fanatismus geäußert hatte, worauf Fima ihr ins Wort gefallen war und alle mit seiner detailliert vorgetragenen Auffassung in Staunen versetzt hatte, der zufolge der Streit zwischen uns und den Arabern nur eine Episode von hundert Jahren, ein erbitterter Streit um Immobilien sei, die wahre Gefahr jedoch der dunkle Abgrund zwischen den Juden und dem Kreuz sei und bleibe. Trotz seiner Sehnsucht hoffte

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