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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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sei gestern wohlein wenig krank gewesen und habe Tamar deswegen nicht zugesetzt. Aber es gelang ihm nicht, mit der einen Hand die Luftmanschette um den anderen Arm zu schnallen, und so verzichtete er auf dieses Tefillin 9 legen. Dann hielt er inne, um das farbige Plakat an der Wand zu studieren – das Ulkfoto eines hübschen jungen Mannes mit schwanger wirkendem Bauch und einem drallen Baby im Arm, das ebenso selig lächelte wie er selber. Der Text lautete: Materna 160 – Ihre Vitaminzugabe. Leicht zu schlucken. Geruchsf rei. Geschmacksf rei. Das führende Präparat unter schwangeren Frauen in den USA . Verkauf allein nur auf ärztliche Verordnung. Eines der beiden Worte, »nur« oder »allein«, erschien Fima überflüssig. Aber er konnte irgendwie nicht recht entscheiden, auf welches man besser verzichtet hätte. Der Ausdruck »führendes Präparat« klang ihm vulgär, und »unter schwangeren Frauen« fand er beleidigend.
    Er riß sich also los und wischte mit dem Tuch imaginären Staub vom Untersuchungsstuhl. Dabei kämpfte er gegen die jähe Versuchung an, sich mit gespreizten Beinen draufzusetzen, um das Gefühl nachvollziehen zu können. Er war sicher, daß sich ein Fehler in Tamars Kreuzworträtsel eingeschlichen hatte, denn es wollte ihm partout kein afrikanischer Staat mit neun Buchstaben einfallen – außer Südafrika, das wiederum nicht paßte, weil es keine zwei »o« enthielt. Und sagte sich wütend, man könnte meinen, wenn sich nur die beiden »o« einfänden, wär’ dort alles in bester Ordnung.
    Fima musterte die Spekula aus rostfreiem Edelstahl, die zur Untersuchung des Gebärmutterhalses dienten. Als er sich diesen geheimnisvollen Hals und dessen Freilegung mittels ausgebreiteter Metallarme vorstellte, zwickte es ihm vor Schreck matt im Bauch. Und es entrang sich ihm ein gepreßter Zischlaut, als habe er sich verbrannt und unterdrücke einen Schmerzensschrei. Neben den Spiegelungsgeräten lagen, sorgfältig ausgerichtet, lange Scheren, Zangen, Intrauterinpessare in sterilen, hermetisch verschlossenen Nylonpackungen. Links hinter dem Arzttisch, auf einem kleinen Räderwagen, stand die Saugglocke, die, wie Fima wußte, dazu benutzt wurde, eine Schwangerschaft durch Schaffung eines Vakuums abzubrechen. Wieder zogen sich ihm die Gedärme zusammen bei dem häßlichen Gedanken, daß dies eigentlich eine Art umgekehrter Einlauf und die Weiblichkeit eine nicht wiedergutzumachende Ungerechtigkeit war.
    Und was machten sie mit den Embryos? Kamen die in einem Plastikbeutel in den Mülleimer, den Tamar oder er jeden Tag vor Praxisschluß leerten? Fraß für die Straßenkatzen? Oder warfen sie sie in die Klosettschüssel, spülten nach und desinfizierten mit Lysol? Grippe vom letzten Jahr. Wenn das Licht in deinem Innern verlöscht, wie groß ist dann das Dunkel, heißt es doch.
    Auf einem kleinen Ständer ruhte das Wiederbelebungsgerät – Sauerstoffflasche und Sauerstoffmaske. Daneben die Narkoseutensilien. Fima schaltete den elektrischen Heizofen ein und wartete einen Augenblick, bis die Spiralen glühten. Zählte die Infusionsbeutel durch und versuchte die aufgedruckte Zusammensetzung zu begreifen: Glukose und Natriumchlorid. Einen Moment verharrte er staunend, den Staublappen unbeweglich in der Hand, angesichts der Nachbarschaft von Narkose, Wiederbelebung, Fruchtbarkeit und Tod in diesem kleinen Raum. Irgend etwas erschien ihm widersprüchlich, unerträglich, aber was genau, wußte er nicht.
    Eine Minute später hatte er sich wieder gefangen und strich mit dem Lappen über den Bildschirm des Ultraschallgeräts, der ihm nicht viel anders als der auf Teds Schreibtisch vorkam. Als Ted ihn gefragt hatte, wie deadline auf hebräisch hieß, hatte er das gewitzt mit »tote Leitung« übersetzt. Was war der richtige Ausdruck? Vielleicht Zieldatum. Nur hörte sich Zieldatum im Vergleich zu deadline künstlich, ja beinah anämisch an. Geschmacks- und geruchsfrei wie das führende Präparat unter schwangeren Frauen in den USA. Inzwischen hatte er einen quadratischen Stapel durchsichtiger Plastikhandschuhe der Firma Polak in ebenfalls durchsichtiger steriler Verpackung umgestoßen. Während er den Stapel wieder aufschichtete, fragte er sich nach der tieferen Bedeutung dieser Transparenz, die hier allenthalben herrschte, als sei man im Aquarium.
    Schließlich ging er von dort weiter in die Putzecke, eine kleine Nische, die einmal als Hinterbalkon gedient hatte und nun mit Milchglas geschlossen worden war. Er

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