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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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stopfte einen Stapel Handtücher in die Waschmaschine, warf auch den Lappen, den er in der Hand hielt, hinterher, las zweimal die Betriebsanleitung und bekam zu seiner Verblüffung die Maschine tatsächlich in Gang. Links daneben stand der Sterilisator mit Anweisungstafeln in Englisch: 200 Grad Celsius, 110 Minuten. Fima beschloß, diesesGerät noch nicht einzuschalten, obwohl schon zwei, drei Scheren, etliche Zangen und mehrere Edelstahlschalen darin lagen. Vielleicht weil die angegebenen Temperaturen ihm geradezu mörderisch hoch erschienen. Als er die Toilette betrat, sog er mit sonderbarem Genuß das penetrante Geruchsgemisch diverser Desinfektionsmittel ein. Versuchte zu pinkeln, was ihm jedoch nicht gelang, vielleicht wegen dem Gedanken an die Seelen der ertränkten Kinder. Bis er es wütend aufgab, seinem Glied ›geh zum Teufel‹ sagte, den Reißverschluß hochzog und zu Tamar zurückkehrte, die er wie in Fortsetzung des vorherigen Gesprächs fragte, warum versuchst du nicht einfach den Kontakt abzubrechen? Seine Grobheiten völlig zu ignorieren? Ihm von heute an nur absolute Gleichgültigkeit zu signalisieren? Ich habe alles saubergemacht und aufgeräumt und die Waschmaschine angeschaltet. Als ob er Luft wäre, so mußt du ihn behandeln.
    »Wie soll das gehen, Fima. Ich liebe ihn doch. Wieso verstehst du das nicht. Aber einmal sollte ich wirklich, statt eine armselige Miene zu ziehen, ihm eine runterhauen. Das ja. Manchmal hat es direkt den Anschein, als warte er darauf. Als würde es ihm guttun.«
    »Ehrlich«, grinste Fima, »eine Ohrfeige hat er sich von dir redlich verdient. Was sagt Wahrhaftig? Wie in einem geordneten Staat. Ich würde das mit dem größten Vergnügen sehen. Obwohl ich grundsätzlich nicht für Gewalt bin. Da, ich hab’s für dich.«
    »Was denn bloß?«
    »Deinen Staat da in Afrika. Versuch mal Obervolta. In einem Wort. Den Sterilisator hab’ ich nicht angeschaltet, weil er fast leer ist. Schade um den Strom.«
    »Aufhören ihn zu lieben«, sagte Tamar. »Das wär’ meine Rettung. Einfach aufhören und fertig. Aber wie hört man auf zu lieben? Du weißt doch alles, Fima. Womöglich auch das?«
    Er zuckte grinsend die Schultern, murmelte was, schreckte zurück, überwand sich schließlich und sagte: »Was versteh’ ich schon von Liebe. Mal habe ich gedacht, sie sei der Schmelzpunkt zwischen Grausamkeit und Barmherzigkeit. Jetzt halte ich das für Quatsch. Jetzt scheint mir, ich hab’ noch nie was verstanden. Aber ich tröste mich ein bißchen damit, daß andere offenbar noch weniger verstehen. Ist schon recht, Tamar, heul nur, du brauchst dich nicht zu beherrschen, schäm dich nicht, die Tränen werden dir helfen. Und ich mach’ dir ein Glas Tee. Egal. In hundert Jahren werden Liebe und Leid schon was Prähistorisches sein. Wie Blutrache.Wie Krinolinen und Korsetts aus Walknochen. Männer und Frauen finden sich dann aufgrund winziger elektrochemischer Impulse. Dadurch gibt’s keinerlei Irrtümer mehr. Möchtest du auch einen Keks?«
    Nachdem er Tee gemacht und kurz gezögert hatte, erzählte er ihr von der Eisenbahndirektorenkonferenz und erklärte, warum nach seiner Auffassung Herr Cohen und nicht Herr Smith im Recht gewesen sei, bis sie matt unter Tränen lächelte. In der Thekenschublade fand er einen Bleistiftspitzer, einen Bleistift, Büroklammern, ein Lineal und einen Brieföffner, aber weder eine weitere Orange noch Kekse. Tamar sagte ihm, das sei nicht wichtig. Vielen Dank, mir ist schon besser, du bist immer so gut. Der schwellende Kropf an ihrem Hals weckte in diesem Augenblick nicht Belustigung, sondern ein tragisches Empfinden bei ihm. Ihretwegen bezweifelte er nun doch, ob es den Menschen, die nach uns kommen werden, Joeser und seinen Zeitgenossen, wirklich gelingen wird, ein vernünftigeres Leben als wir zu führen. Höchstens würden Grausamkeit und Dummheit feinere, ausgefeiltere Formen annehmen. Was sollte der Düsenantrieb zu Lande jemandem nutzen, der erkennt, daß der Ort, wo er stand, von ihm nichts mehr weiß?
    Die Worte »Der Ort, wo er stand, weiß von ihm nichts mehr« versetzten Fima in derart gebannte Erregung, daß er sie sich mit lautlosen Lippenbewegungen zuwispern mußte. Plötzlich, wie in jäher Erleuchtung, sah er eine komplette, wunderbare, anrührende Utopie in diesem etwas abgedroschenen Psalmwort verborgen. Beschloß aber, Tamar nichts davon zu sagen, um nicht noch Schmerz auf Schmerz zu häufen.
    Tamar sagte: »Guck. Der Petroleumofen ist

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