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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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fast leergebrannt. Was redest du da mit dir selbst?«
    »Ich hab’ den elektrischen Ofen bei Gad angestellt«, entgegnete Fima. »In Alfreds Zimmer war ich noch gar nicht. Gleich bring’ ich das auch in Ordnung.«
    Als er begriff, was man von ihm wollte, ging er hinaus, um den Behälter aufzufüllen. Bei seiner Rückkehr rollten dumpfe, rasch aufeinanderfolgende Donner los, als sei hinter den Wolken ein verzweifelter Panzerkrieg ausgebrochen. Fima erinnerte sich plötzlich an das Psalmwort »Rühre die Berge an, so daß sie rauschen« und stellte es sich greifbar vor. Und erschauerte. Aus dem zweiten Stock drangen Celloklänge. Getragen, ernst, niedrig, dieselben beiden schweren Sätze immer wieder. Obwohl es erst halb vier war, wurde es im Zimmer so trübe, daß Tamar das Licht anschaltenmußte, um ihr Kreuzworträtsel weiter lösen zu können. Als sie mit dem Rücken zu ihm stand, wollte Fima sie von hinten umarmen. Ihren müden Kopf in seine Halsbeuge ziehen und ihre Gedanken löschen. Ihren Nacken mit Küssen bedecken, den Ansatz ihres schönen, zu einem kleinen Knoten gebundenen Haars. Das man auch einmal lösen und freilassen konnte. Aber er beherrschte sich. Und die beiden verwandten ein paar Minuten auf die Identifizierung eines berühmten finnischen Feldmarschalls, zehn Buchstaben, am Anfang und Ende »m«. Ab diesem Moment fand Fima sich damit ab, daß er trotz allem nicht aus dem Holz echter Führer geschnitzt war, in deren Macht es stand, die Geschichte zu verändern, Kriege zu beenden, von Mißtrauen und Verzweiflung zerfressene Herzen massenweise zum Guten zu bekehren. Tröstete sich aber ein wenig damit, daß auch die gegenwärtigen Staatsoberhäupter nicht aus diesem Holz waren. Vielleicht noch weniger als er selbst.

15.
Gutenachtgeschichten
    Dimmi Tobias, ein junger Albino, hinter dessen dicken Brillengläsern kleine gerötete Augen lagen, war zehn Jahre alt, wirkte jedoch jünger. Er redete wenig, aber höflich in wohlüberlegten Sätzen, überraschte allerdings die Erwachsenen gelegentlich mit einer scharfsinnigen Wortkombination oder gekonntem Naivstellen, denen Fima einen Anflug von Ironie entnahm oder zu entnehmen meinte. Manchmal betitelte sein Vater ihn als einen levantinischen Albert Einstein, während Jael klagte, sie ziehe daheim einen verschlagenen, manipulierenden Jungen groß.
    Er saß im Wohnzimmer auf dem breiten Sessel seines Vaters, stumm in die eine Ecke gekauert – wie ein nachts auf einer Alleebank liegengebliebenes längliches Bündel. Vergeblich versuchte Fima ihm zu entlocken, was ihm fehlte. Seit Beginn des Abends hatte er so dagehockt, reglos bis auf seine Kaninchenaugen, die unablässig hinter den doppelten Linsen zwinkerten. Ob er Durst habe? Ein Glas Milch wolle? Oder Saft? Aus irgendeinem Grund glaubte Fima, das Kind sei vor Flüssigkeitsmangel am Austrocknen. Vielleicht kaltes Wasser? Womöglich Whisky?
    »Hör doch endlich auf«, quittierte Dimmi.
    Fima, der überzeugt war, nicht das Richtige zu tun, aber absolut nichtdarauf kam, was er eigentlich machen oder sagen müßte, öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Einen Moment später erschauerte er bei dem Gedanken, das Kind habe womöglich eine Grippe im Leib, so daß die Kälte ihm schaden könnte, und sprang deshalb in jähem Sinneswandel auf, um das Fenster zu schließen. Dann ging er in die Küche, holte sich ein Glas Sprudel und zog damit ins Wohnzimmer. Als hoffe er, Dimmi werde sich dadurch beeinflussen lassen, ebenfalls was zu trinken.
    »Hast du ganz bestimmt keinen Durst?«
    Dimmi hob ein wenig das bleiche Gesicht und betrachtete Fima traurig besorgt, so wie man einen alternden Menschen anblickt, der sich immer mehr in Kummer verstrickt, ohne daß man ihm helfen könnte.
    Fima versuchte es mit einer anderen Möglichkeit: »Dann laß uns doch Karten spielen. Oder sollen wir Monopoly anfangen? Oder möchtest du lieber die Fernsehnachrichten mit mir gucken? Zeig mir, wie man euren Fernseher anstellt.«
    »Drücken. Oben«, sagte Dimmi und fügte hinzu: »Einem Kind bietet man keinen Alkohol an.«
    »Natürlich nicht«, sagte Fima. »Ich wollte dich bloß ein bißchen zum Lachen bringen. Sag mir, worauf du Lust hast. Soll ich Schamir und Peres nachmachen?«
    »Gar nix. Hab’ ich dir doch schon dreimal gesagt.«
    Erfolglos schlug Fima eine spannende Geschichte, Computerspiele, Witze, eine Kissenschlacht oder Domino vor. Irgend etwas bedrückte den Jungen, aber so eindringlich Fima ihn auch über

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