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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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seinen Sohn vor dem aktiven Dienst im Feld zu bewahren und ihm einen Posten als Unterrichtsfeldwebel im Jerusalemer Schneller-Lager zu sichern. Nach dem Wehrdienst dachte Fima daran, bei der Handelsflotte anzuheuern, wenigstens für ein, zwei Jahre. Das Meer faszinierte ihn. Aber der Vater legte sein Veto ein und ordnete ein Betriebswirtschaftsstudium an, weil er ihn an der Leitung seiner Kosmetikfirma beteiligen wollte. Erstnach verbitterten Abnützungsgefechten einigten sie sich auf Geschichtswissenschaft. Als Fima den Bachelor mit Auszeichnung machte, beschloß der begeisterte Vater, ihn sofort auf eine berühmte britische Universität zu schicken. Fima rebellierte jedoch, verliebte sich einmal und noch einmal, das Geißbockjahr brach an, und das Weiterstudium wurde aufgeschoben. Baruch rettete ihn aus seinen immer neuen Verstrickungen, aus Gibraltar, Malta und sogar dem Militärgefängnis. Sein Wahlspruch lautete: Frauen, ja, gewiß, aber zum Vergnügen, nicht zum Ruin. In manchen Dingen sind die Frauen genau wie wir, Efraim, und in manchen anderen unterscheiden sie sich völlig, aber worin sie nun wie wir und worin anders sind – da bin nicht einmal ich bisher ganz dahintergekommen.
    Er war es, der die Wohnung in Kiriat Jovel erwarb und ihn mit Jael verheiratete, nachdem er die beiden anderen Mädchen geprüft und verworfen hatte – Ilia Abarbanel aus Haifa, die der Maria Magdalena auf irgendeinem vergessenen Bild ähnelte, und die hübsche Liat Sirkin, die Fima in den nordgriechischen Bergen in ihrem Schlafsack das Nachtlager versüßt hatte. Und er hatte letzten Endes auch die Scheidung geregelt. Sogar die Jacke mit der Ärmelfalle stammte aus seinem Kleiderschrank.
    Fima erinnerte sich verschwommen an eine Lieblingsgeschichte des Alten, in der ein berühmter Zaddik und ein Pferdedieb die Kleider tauschen, wodurch sich gewissermaßen auch die Identitäten verkehren und ein tragikomischer Schicksalswechsel seinen Ausgang nimmt. Aber worin hatte der Vater hier die wahre – im Gegensatz zur vermeintlichen – Pointe gesehen? Sosehr er auch sein Gedächtnis anstrengte, er konnte nicht mehr sehen als das flüchtige, aber konkrete Bild eines aus rohen Balken gezimmerten ukrainischen Wirtshauses an einer Landstraße inmitten dunkler, sturmgepeitschter, verschneiter Tundra. Und Wölfe heulten in der Nähe.
    Der Taxifahrer sagte: »Wir sollen wohl die ganze Nacht hier stehenbleiben.« Damit trat er aufs Gaspedal, überquerte die Kreuzung bei Rot und raste nun, als wolle er für sich und Fima die verlorene Zeit wieder aufholen, wie wild los, brauste nur so durch die leeren Straßen und schnitt mit quietschenden Bremsen Kurven und Ecken.
    »Was ist das denn?« fragte Fima. »Der Sechsminutenkrieg?«
    Und der Fahrer darauf: »Wollte Gott, Amen.«
    Morgen, gleich morgen früh als erstes werde ich ihn zur Untersuchung ins Krankenhaus bringen, nahm Fima sich vor. Und wenn’s mit Gewalt ist. Dieses Pfeifen ist neu. Es sei denn, er variiert wieder mal leicht sein Repertoireund illustriert auf närrische Weise seine Geschichten über Eisenbahnen und Loks. Oder es handelt sich nur um eine leichte Erkältung, und ich verliere auch diesmal den rechten Maßstab. Aber wie kann ich ihn verlieren, wenn ich ihn nie besessen habe. Baruch allerdings auch nicht.
    Vorher ruf ich lieber Zwi an, dessen Bruder Stationsarzt im Hadassa-Skopusberg ist. Um ihm möglichst ein Privatzimmer mit allen nötigen Annehmlichkeiten zu verschaffen. Dieser sture Jabotinsky-Anhänger wird noch nicht mal das Wort »Einlieferung« hören wollen. Sondern sofort wie ein Vulkan explodieren. Warum eigentlich nicht Jael bitten, ihn ein wenig weichzukriegen? Für sie hat er eine alte Schwäche. Was er ein warmes Eckchen nennt. Vielleicht weil er sich in den Kopf gesetzt hat, Dimmi sei sein Enkel. Genauso wie er überzeugt ist, Indien sei ein arabischer Staat und Rabbi Nachman Krochmal habe Nietzsche gekannt und ich selber sei eine Art vergeudeter Dubnow 10 oder ein entgleister Puschkin. Lächerlich, armselig, strohdumm sind die Irrtümer, die von allen Seiten jemanden bestürmen, der sich weigert, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen.
    Als Fima die Worte »ins Auge sehen« durch den Kopf schossen, mußte er plötzlich an den Hund denken, der in der dunklen Tiefe des Wadis langsam an Blutverlust einging. Fast greifbar sah er das letzte Blut aus den klaffenden Wunden rinnen, begleitet von Todeskrämpfen. Mit einemmal, wie in jäher Erleuchtung, begriff er, daß auch

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