Der dritte Zustand
die Übelkeit nicht nach. Er hätte doch Dimmis Bitte folgen, eine starke Taschenlampe nehmen und in das tiefe Dunkel hinuntersteigen sollen, um den verwundeten Hund zu suchen, etwas zu retten. Wenn möglich.
Um halb drei ging er ins Bad, zog sich aus und duschte mit lauwarmem Wasser, weil er sich schmutzig fühlte. Der Schauer belebte ihn jedoch nicht. Die Seife, ja sogar das Wasser erschienen ihm klebrig. Nackt, griesgrämig und vor Kälte zitternd, trat er vor den Spiegel und betrachtete verächtlich die kränklich blasse Haut, auf der schüttere schwarze Härchen sprossen, und den Fettgürtel um die Taille. Unwillkürlich begann er rötliche Pickel auf der Brust auszudrücken, bis es ihm gelang, seinen schlaffen Männerbrüsten ein paar weiße Tröpfchen abzuquetschen. Als er noch ein pubertierender Jüngling war, hatten solche Pickel ihm Wangen und Stirn bedeckt. Baruch hatte ihm verboten, sie auszudrücken. Einmal sagte er zu Fima: Das verschwindet über Nacht, sobald du eine Freundin hast. Wenn du bis zu deinem siebzehnten Geburtstag keine findest – und es besteht der Verdacht, daß du da erfolglos bleibst, mein Lieber –, dann mach dir keine Sorge, ich werd’s für dich richten.
Ein jämmerliches, krankhaftes Grinsen machte sich auf Fimas Lippen breit, als er an die Nacht vor dem bewußten Geburtstag dachte: Da hatte er wach gelegen und gehofft, der Vater möge sein Versprechen vergessen, und gleichzeitig gebetet, er möge es nicht vergessen. Dabei hat der Alte doch wie gewöhnlich nur ein bißchen scherzen wollen. Und du hast wie üblich die wahre Pointe nicht mitgekriegt.
Ja und nun, Herr Premierminister? Bricht die zweite Pubertät an? Oder dauert die erste womöglich immer noch? Innerhalb eines Tages hast du zwei Frauen in den Armen gehabt, nicht zu ihnen gefunden und jeder auch noch Seelenqual, wenn nicht Kränkung zugefügt. Es folgt also, daß du weiterdarauf warten mußt, daß dein Vater sich endlich an sein Versprechen erinnert. Schau, was sie dir angetan haben, du Golem, hatte seine Mutter ihm im Traum gesagt. Worauf er ihr mit einiger Verspätung, nackt und kältezitternd vor dem Badezimmerspiegel, mit mürrischer Stimme antwortete: »Genug. Laß mich in Ruhe.«
Dabei erinnerte er sich wieder an Jaels schreck- und abscheuverzerrtes Gesicht, als sie vor zwei Stunden das Licht im Schlafzimmer eingeschaltet hatte und ihn angezogen unter ihrer Decke schlafen und ihr Nachthemd liebkosen sah. Mit entsetzenslauter Stimme hatte sie gerufen, komm schnell, Teddy, guck dir das an. Als krümme sich da irgendein Ungeziefer, ein Gregor Samsa, in ihren Laken. Gewiß hatten sie ihn als ungeheuren Dummkopf, wenn nicht als Vollidioten betrachtet, als er aufwachte, sich reckte, ganz zerknittert vom Schlafen im Bett hochkam und ihnen vergeblich zu erklären versuchte, was geschehen war. Gewissermaßen in der Hoffnung, sie würden aufgrund seiner Erklärungen vielleicht Mitleid mit ihm haben und ihm erlauben, sich wieder hinzulegen, sich zuzudecken und von neuem einzuschlafen, hatte er sich mehr und mehr verhaspelt, erst behauptet, Dimmi habe sich ein wenig unwohl gefühlt, dann aber sofort erschrocken die Verteidigungstaktik gewechselt und die umgekehrte Version vorgebracht, Dimmi sei großartig gewesen, aber er selbst habe sich ein wenig schlecht gefühlt.
Wie immer hatte Tobias Selbstbeherrschung gewahrt. Und nur einen kühlen Satz geäußert: »Ich meine, Fima, diesmal hast du’s ein wenig übertrieben.«
Und während Jael noch Dimmi ins Bett brachte, hatte Ted die Taxizentrale angerufen, Fima sogar unbeschadet der Ärmelfalle in die Jacke geholfen, ihm seine abgewetzte Schirmmütze geholt und ihn auf die Straße hinunterbegleitet, wo er ihn ins Taxi setzte und dem Fahrer selbst Fimas Anschrift sagte, als wolle er über jeden Zweifel hinaus sichergehen, daß Fima keinen Rückzieher machen und erneut an ihre Tür klopfen konnte.
Ja, warum eigentlich nicht?
Er war ihnen eine ausführliche Erklärung schuldig.
Stehenden Fußes, nackt und klebrig im Badezimmer, beschloß er, sich sofort anzuziehen. Ein Taxi kommen zu lassen. Unbarmherzig zu ihnen zurückzukehren. Sie alle beide aufzuwecken und eine eindringliche Aussprache, notfalls bis zum frühen Morgen, zu erzwingen. Er mußte die Leiden des Jungen vor ihnen ausbreiten. Ja, die Leiden überhaupt. Sie aufrührenund erschüttern. Ihnen das ganze Ausmaß der Gefahr schildern. Den Düsenantrieb für Kraftfahrzeuge in allen Ehren – unsere erste Pflicht
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