Der Dritte Zwilling.
Macke?«
»Jeder hat auf irgendeine Weise eine Macke.«
»Das sehe ich auch so. Warum tragen Sie den Ring in der Nase?«
Jeannie hob ihre dunklen Augenbrauen, als wollte sie sagen: Ich stelle hier die Fragen. Dann aber antwortete sie ihm doch. »Ich hatte eine Punker-Phase, als ich ungefähr vierzehn war. Grüne Haare, schludrige Kleidung, und so weiter. Der durchstochene Nasenflügel hat dazugehört. «
»Das Loch würde zuwachsen und verheilen, wenn Sie keinen Ring oder Knopf mehr tragen.«
»Ich weiß. Aber ich behalte es trotzdem. Wahrscheinlich deshalb, weil ich völlige Korrektheit und Anpassung für langweilig halte.«
Steve lächelte. Mann Gottes, mir gefällt diese Frau, dachte er, auch wenn sie zu alt für mich ist. Dann wandte er sich wieder dem Thema zu, das Jeannie zur Sprache gebracht hatte. »Was macht Sie so sicher, daß ich einen Zwillingsbruder habe?«
»Ich habe ein Computerprogamm entwickelt, das EDV-gespeicherte medizinische Unterlagen und andere Datenbänke nach Paaren durchsucht. Eineiige Zwillinge haben ganz ähnliche Hirnströme und Elektrokardiogramme, aber auch nahezu identische äußere Merkmale. Zähne, zum Beispiel. Ich habe mit meinem Programm eine große Datenbank mit dentalen Röntgenbildern eines Krankenversicherungsunternehmens durchsucht. Dabei bin ich auf jemanden gestoßen, dessen Zahnmaße und Form der Gaumenbogen den Ihren entsprechen.«
»Entsprechen? Das hört sich nicht endgültig an.«
»Ist es vielleicht auch nicht, obwohl er sogar die Zahnkavernen an der gleichen Stelle hat wie Sie.«
»Und wer ist er?«
»Er heißt Dennis Pinker.«
»Wo ist er zur Zeit?«
»Richmond, Virginia.«
»Haben Sie ihn schon kennengelernt?«
»Ich reise morgen nach Richmond, um ihn zu treffen. Viele der Tests, die ich mit Ihnen gemacht habe, werde ich auch mit Dennis vornehmen. Und ich werde ihm eine Blutprobe entnehmen, so daß wir seine DNS mit der Ihren vergleichen können. Dann werden wir es mit Sicherheit wissen.«
Steve runzelte die Stirn. »Sind Sie an einem bestimmten Fachgebiet der Genetik interessiert?«
»Ja. Mein Spezialgebiet ist die Kriminalität. Genauer gesagt, die Frage, ob kriminelle Veranlagung vererbbar ist.«
Steve nickte. »Hab’ schon kapiert. Was hat er angestellt?«
»Bitte?«
»Was hat Dennis Pinker verbrochen?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Sie wollen zu ihm, statt ihn zu bitten, hierherzukommen. Da ist doch wohl klar, daß er im Knast sitzt.«
Jeannie errötete leicht, als wäre sie vom Lehrer beim Mogeln ertappt worden. Die geröteten Wangen ließen sie verführerischer aussehen als je zuvor. »Ja, Sie haben recht«, sagte sie.
»Weshalb ist er im Gefängnis?«
Sie zögerte. »Mord.«
»Großer Gott!« Steve riß den Blick von Jeannie los und schlug die Hände vors Gesicht. »Erst bekomme ich zu hören, daß ich einen Zwillingsbruder habe, der mein genetisches Ebenbild ist, und jetzt auch noch das. Der Typ ist ein Mörder.
Du lieber Himmel!«
»Es tut mir leid«, sagte Jeannie. »Ich habe mich wie ein Dummkopf angestellt.
Aber Sie sind die erste Versuchsperson, die ich mit Hilfe meines Programms ermittelt habe – und ich komme mir ziemlich hilflos vor.«
»Junge, Junge. Ich bin in der Hoffnung hierhergekommen, etwas über mich selbst zu erfahren. Aber jetzt weiß ich mehr, als ich eigentlich wissen wollte.« Jeannie wußte nicht - und würde es, wenn es nach
ihm ging, auch nie erfahren -, daß Steve beinahe einen Jungen namens Tip Hendricks getötet hätte.
»Und Sie sind sehr wichtig für mich.«
»Inwiefern?«
»Im Hinblick auf die Frage, ob Kriminalität vererbbar ist. Ich habe einen Artikel veröffentlicht, in dem ich die Behauptung aufstelle, daß ein bestimmter Persönlichkeitstyp ererbt ist - eine Verbindung aus Impulsivität, Wagemut, Aggressivität und Hyperaktivität. Doch ob solche Menschen zu Verbrechern werden oder nicht, behaupte ich weiter, hängt davon ab, wie ihre Eltern sie behandelt haben. Um meine Theorie zu beweisen, muß ich möglichst viele Paare eineiiger Zwillinge finden, von dem der eine ein Verbrecher, der andere ein gesetzestreuer Bürger ist. Sie und Dennis sind das erste Paar, das ich entdeckt habe, und ihr seid perfekt: Dennis sitzt im Gefängnis, und Sie sind, entschuldigen Sie, der Idealtyp eines richtigen amerikanischen Jungen. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin so aufgeregt, daß ich kaum still sitzen kann.«
Der Gedanke, daß diese Frau zu aufgeregt war, um still sitzen zu können,
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