Der Dritte Zwilling.
nie gekonnt.«
»Dann kritisiere mich nicht, daß ich Mutter ins Bella Vista gebracht habe!«
Seine Stimme wurde schmeichlerisch. »Ich habe doch nichts gegen dich gesagt, meine Kleine. Ich hab’ bloß gesagt, daß mir die Vorstellung nicht gefällt, daß deine Mutter in einem solchen Heim
wohnt.«
»Mir gefällt es auch nicht und Patty ebensowenig. Deshalb werden wir versuchen, genug Geld aufzubringen, Mom da rauszuholen.« Für einen Augenblick drohte Jeannie von Gefühlen überwältigt zu werden, und sie mußte gegen die Tränen ankämpfen. »Verdammt noch mal, Daddy, ich hab’s schon schwer genug, auch ohne daß du hier sitzt und dich beklagst.«
»Schon gut, schon gut.«
Jeannie schluckte schwer. Warum lasse ich eigentlich zu, daß er auf mir herumhackt? Sie wechselte dasThema. »Was hast du jetzt vor? Hast du irgendwelche Pläne?«
»Ich werde mich ‘ne Zeitlang umschauen.«
Mit anderen Worten: Er wollte wieder irgendein Geschäft ausspähen, um es später auszuräumen. Jeannie schwieg. Er war ein Dieb; sie konnte ihn nicht ändern.
Er hüstelte. »Könntest du mir vielleicht ein paar Dollar als Startkapital überlassen … ?«
Diese Frage brachte Jeannie erneut in Rage. »Ich will dir sagen, was ich tun werde«, erwiderte sie mit angespannter Stimme. »Du kannst dich duschen und rasieren, während ich deine Sachen in die Waschmaschine stecke. Wenn du die Hände von der Wodkaflasche läßt, mache ich dir Eier und Toast. Ich gebe dir einen Pyjama und lass’ dich auf meinem Sofa schlafen. Aber ich werde dir kein Geld geben. Ich versuche verzweifelt, das Geld für Mom aufzubringen, um sie woandershin schaffen zu können, wo man sie wie ein menschliches Wesen behandelt, und da kann ich keinen Dollar entbehren.«
»Schon gut, Kleines«, sagte er und setzte die Miene eines Märtyrers auf. »Ich versteh’ schon.«
Sie schaute ihn an, und als der innere Aufruhr aus Scham und Zorn sich schließlich legte und das Mitleid schwand, spürte sie nur noch Sehnsucht. Sie wünschte sich von ganzem Herzen, ihr Vater käme im Leben zurecht; sie wünschte sich, er könnte für sich selbst sorgen, könnte es länger als nur ein paar Wochen an ein und demselben Platz aushalten, könnte sich einen vernünftigen Job beschaffen, könnte liebevoll, hilfreich und beständig sein. Sie sehnte sich nach einem Vater, der ihr ein wirklicher Vater war. Und sie wußte, daß dieser Wunsch nie in Erfüllung gehen würde. In ihrem Herzen war ein Platz für einen Vater, doch dieser Platz würde stets leer bleiben. Das Telefon klingelte. Jeannie nahm den Hörer ab. »Ja?«
Es war Lisa; ihre Stimme klang aufgeregt. »Jeannie, er war es!«
»Wer war was?«
»Der Kerl, der bei dir war, als man ihn verhaftet hat. Ich habe ihn bei der Gegenüberstellung wiedererkannt. Das ist der Mann, der mich vergewaltigt hat. Steven Logan.«
»Er ist derTäter?« sagte Jeannie fassungslos. »Bist du sicher?«
»Es gibt keinen Zweifel, Jeannie. O Gott, es war schrecklich, wieder sein Gesicht zu sehen. Zuerst habe ich nichts gesagt, weil er ohne Mütze anders aussah. Dann haben die Detectives Baseballmützen an die Männer ausgegeben, und da wußte ich es ganz sicher.«
»Er kann es nicht gewesen sein, Lisa«, sagte Jeannie. »Wie meinst du das?«
»Die Testergebnisse sprechen eindeutig dagegen. Und ich habe ziemlich viel Zeit mit ihm verbracht. Ich habe es im Gefühl.«
»Aber ich habe ihn wiedererkannt.« Lisas Stimme klang verärgert. »Ich kann es nicht fassen. Ich begreife es einfach nicht.«
»Das wirft deineTheorie über den Haufen, nicht wahr? Die besagt, daß einer der Zwillinge gut ist und der andere böse.«
»Ja. Aber ein einziges Gegenbeispiel kann keine Theorie umwerfen.«
»Tut mir leid, wenn jetzt dein Forschungsprojekt gefährdet ist.«
»Das ist nicht der Grund dafür, daß ich Steve für unschuldig halte.« Jeannie seufzte. »Zum Teufel, vielleicht war er’s wirklich. Ich weiß überhaupt nichts mehr. Wo bist du jetzt?«
»Zu Hause.«
»Und ist alles in Ordnung mit dir?«
»Ja. Jetzt, wo der Kerl hinter Gittern ist, geht’s mir besser.«
»Dabei hat er einen so sympathischen Eindruck gemacht.«
»Das sind die Schlimmsten, hat Mish mir gesagt. Die Typen, die nach außen hin vollkommen normal erscheinen, sind die gerissensten und brutalsten. Es geilt sie auf, Frauen Leid zuzufügen.«
»Mein Gott!«
»Ich gehe jetzt ins Bett, bin total fertig. Ich wollte es dir nur rasch erzählen. Wie war dein Abend?«
»So
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